Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Zoll herausbekommt, dass er zu lange am selben Ort gewesen ist, können sie ihm verbieten, wieder nach Schweden einzureisen. Sie haben ihn schon im Visier. Wir müssen uns wirklich beeilen!«
Von fern hört man ein leises Gewittergrollen, und Mutter schaltet die Scheibenwischer ein. Der Regen ist stärker geworden. Ich muss an meinen Zettel denken. Vielleicht fällt mir doch noch ein, was AUFHÖREN bedeuten soll. WOMIT aufhören? Mit dem Denken, dem Essen, dem Zur-Schule-Gehen? Damit, dass man polnische Verwandte hat? Dann fällt mir die Hochzeit ein und wie falsch sie ist.
»Das mit der Hochzeit von Evert und Sylwia …«, beginne ich. »Glaubst du, Evert hat schon begriffen, dass Sylwia und Celestyna komplett durchgeknallt sind? Dass das alles nie funktionieren wird? Wo soll die Hochzeit überhaupt stattfinden?«
»Bei uns, wo sonst.«
Für die kurze Sekunde, bis das, was Mutter gesagt hat, bei mir ankommt, steht das Universum still.
»Wie …? … Bei … uns …? … Nein …«, ist alles, was ich danach herausbringe. Ich habe plötzlich Schwierigkeiten mit dem Atmen.
»Sie können es sich nicht leisten, ein Restaurant zu mieten, und Sylwia sagt, Everts Bauernhof ist viel zu düster, um dort Hochzeit zu feiern«, sagt Mutter.
Ich spüre, wie meine Fähigkeit zu sprechen wiederkehrt.
»Du hast gesagt, dass wir ihnen helfen, nicht dass wir die ganze Hochzeit organisieren! Und dass sie wieder bei uns einfallen!«
»Sei nicht so schwierig, Sylwia und Celestyna sind doch gar nicht so schlimm.«
Ich. Traue. Meinen. Ohren. Nicht.
»Entschuldigung? In welcher Parallelwelt lebst du eigentlich? Hast du vergessen, was alles passiert ist?«, bricht es aus mir heraus. »Celestyna ist vielleicht erst dreizehn und kommt aus schwierigen Familienverhältnissen, aber sie ist eine komplette Psychopathin. Erst klaut sie ein schweineteures Rad, dann spioniert sie wochenlang jemanden aus, mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hat, und am Ende pflügt sie einen ganzen Garten unter und verschenkt tote Tiere. Ganz davon zu schweigen, dass sie das alles auch noch in meinen Kleidern tut!«
Der Olvo überholt ein Auto nach dem anderen, und ich registriere, wie Mutter über die durchgezogene Mittellinie fährt. Verstöße gegen geltende Verkehrsregeln bis hierher: 4. Der Regen peitscht jetzt gegen die Scheiben.
»Du hast dich doch selbst die ganze Zeit über Sylwia beschwert, als sie noch bei uns gewohnt haben«, fahre ich fort. »Die Frau ist nicht normal, das sieht man schon daran, was sie anzieht! Muss ich dich daran erinnern, was in Vadstena passiert ist? Haben wir nicht schon genug für sie getan? Reicht es nicht, dass du ihnen geholfen hast, aus Polen wegzukommen? Wir haben sogar ihre bescheuerten Sachen aus Rumia abgeholt! Warum müssen ausgerechnet wir diesen Menschen helfen? Was heißt, ihnen helfen – es ist, alswürde man Hitler und Stalin aus einem brennenden Haus retten!«
»Und woher willst du wissen, dass es nicht die glücklichste Ehe der Welt wird?«, sagt Mutter. »Hast du daran schon gedacht?«
Mir fallen tausend Argumente gegen diese gewagte These ein, ich habe nur das sichere Gefühl, dass Mutter kein einziges davon hören möchte. Der Regen nimmt jetzt tropische Dimensionen an.
»Und warum muss eigentlich ich mit nach Trelleborg kommen?«, frage ich. »Und nicht Rafał?«
»Er muss heute nach Malmö. Du musst mir helfen, den Treffpunkt zu finden. Schau mal auf der Karte, wo Stenyxegatan ist. Es muss irgendwo im Industriegebiet sein.«
Im Handschuhfach finde ich mehrere Packungen Papiertaschentücher, ein Handbuch für den Volvo 740 auf Deutsch, eine Dose Ananasbonbons in einem einzigen großen Klumpen, mindestens hundert alte Quittungen und ganz hinten eine Schwedenkarte. Der Sturm weht ein ums andere Mal das Auto aus der Spur, und der Regen prasselt aufs Dach, dass es klingt, als säßen wir in einer fahrenden Trommel.
Dann kommen wir in Trelleborg an, wo der stürmische Regen die Menschen von den Straßen vertrieben hat. Nur ein paar Hundebesitzer stehen geduldig neben ihren frierenden Lieblingen.
»Da nach links«, sage ich und zeige Mutter, dass sie in den Weg hinter einer großen grauen Lagerhalle einbiegen soll.
Der blöde Ausflug macht mich nervös, und dass Sylwias und Everts Hochzeit bei uns gefeiert werden soll, habe ich auch noch nicht verdaut.
Hinter der Lagerhalle steht ein blauer LKW mit polnischen Kennzeichen, auf der Plane steht »International Transport«.
»Er ist noch
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