Wie alles begann ... Die Geschichte eines Coming-Out (German Edition)
nicht haben konnte. Trotzdem hielt ihn das nicht davon ab, sich von mir auf einen Teller Pasta einladen zu lassen. Die beste in der Stadt!
Nach dem heißen Shooting hatte ich richtig Hunger, bestellte mir den Italienischen Salat und Spaghetti Arrabiata. Silas wollte klassisch Bolognese und verzichtete auf den Salat.
„Ich wollte, du hättest ihn mal vor der Linse“, schwärmte Silas und schielte zu Alessandro.
„Ich glaube, er verschwendet keinen Gedanken daran, seinen Adonis Körper ablichten zu lassen.“
„Soll ich ihm das mal anbieten?“
„Lass mal, wir haben auch so genug Aufträge.“
Ich bemerkte, wie die Müdigkeit sich in mir breitmachte und wollte nur noch nach Hause. Silas ging es ähnlich, denn er gähnte herzhaft, als sein Teller leer war. Ich zahlte, anschließend trennten sich unsere Wege.
Letztes Jahr bin ich in meine neue Wohnung gezogen. Groß, erste Etage in einem stilvollen Altbau ähnlich meines Studios. Hohe Decken und große Fenster, die Böden mit Parkett ausgelegt. Als ich die Wohnung besichtigt hatte, war sofort ein Gefühl von zuhause entstanden. Mittlerweile glaube ich, das war der Punkt, an dem ich wirklich in ein freies Leben gestartet bin. Die eigene Wohnung, ein eigenes Reich für mich alleine. Auch wenn ich nie Probleme mit Eva hatte – ich habe gerne bei ihr gewohnt. Ich denke, ihr ist es schwergefallen, mich ausziehen zu lassen. Wir waren ein gutes Team und ich bin ihr unendlich dankbar für die Unterstützung. Sie hat ihr Bestes gegeben, meine Eltern zu ersetzen – streng aber nicht kleinlich. Regeln ja, die gab es bei ihr. Aber nicht so, dass sie mir Vorschriften gemachte hätte, die mich eingeengt haben oder meinen freien Willen untergraben hätten.
Als ich die Stufen zu meiner Wohnung hinaufging wollte ich nur eines: schlafen. Doch meine Müdigkeit wurde auf einen Schlag weggewischt, als ich den Absatz erreichte. Vor meiner Tür saß meine Mutter! In Jeans und T-Shirt, was ich gar nicht von ihr kannte.
„Mama! Was tust du hier?“
Sie stand auf. Der Rucksack, auf dem sie gesessen hatte, unübersehbar vollgepackt.
„Niklas, ich …“, ihre Stimme erstarb. Sie sah verzweifelt aus.
„Du lieber Himmel! Was ist denn passiert? Komm rein“, erwiderte ich, schloss die Tür auf und schob den Rucksack mit dem Fuß hinein.
Ich war erschrocken. Zwar hatte ich pflichtbewusst immer wieder mal mit ihr telefoniert, doch gesehen hatte ich sie schon länger nicht. Es musste fast zwei Jahre her sein, seit ich zuletzt bei meinen Eltern gewesen war. Diese Besuche waren grauenhaft und ich hasste sie, weil mein Vater mich behandelte, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.
Meine Mutter schloss die Tür hinter sich und ich sah sie forschend an. Sie blickte betreten auf den Fußboden.
„Was ist los?“
„Ich ertrage es nicht mehr, Niklas. Deshalb bin ich hier.“
„Was hat er getan?“, fragte ich und meine Stimme klang kalt.
Sie schüttelte nur den Kopf. Ich ging zu ihr, nahm sie in den Arm. Bereitwillig lehnte sie sich gegen mich. Sanft dirigierte ich sie durch den Flur ins Wohnzimmer, wo sie sich kraftlos auf das Sofa fallen ließ.
„Sag mir, was los ist, bitte.“
Meine Mutter blickte auf ihre Hände, die ineinander verschränkt waren, doch das Zittern nicht verbergen konnten.
„Ich habe es nicht mehr ausgehalten“, begann sie leise. „Dein Vater ist nicht nur dir gegenüber so. Seit er es damals herausgefunden hat und du gegangen bist, hackt er auf mir herum. Gibt mir die Schuld dafür, sagte immer wieder, ich hätte dich dazu erzogen. Irgendwann habe ich seine Worte einfach nur noch ignoriert. Gestern Abend aber …“ Sie blickt auf und ich sehe die Scham und den Schrecken in ihren Augen.
„Es tut mir leid“, sage ich leise.
„Du kannst nichts dafür. Er ist es – er hat alles kaputt gemacht, was wir hatten. Unsere Ehe besteht nur noch auf dem Papier, er ist schon lange nicht mehr mein Mann. Gestern war der Punkt erreicht, wo ich sagen musste, jetzt ist Schluss. Deshalb bin ich hier, ich habe doch sonst niemanden!“
„Was hat er getan?“
Sie atmet tief durch, ringt mit sich. Meine Gedanken malen sich die schlimmsten Dinge aus und ich frage mich, ob ich wirklich wissen will, was er ihr angetan hat.
„Er trinkt Niklas, schon längere Zeit. Es fing wieder so an wie immer. Er hat mich beschimpft. Sagte Dinge, die ich nicht wiederholen möchte. Ich habe versucht, seine Worte zu ignorieren, wollte ihm nicht zuhören. Doch er wurde aggressiv,
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