Wie angelt man sich einen Earl
dünne Jacke. Angel fröstelte, senkte den Kopf und schlang die Arme um ihren Oberkörper, als könnte sie sich so vor der lähmenden Kälte in ihrem Inneren schützen.
Darum sah sie die schlanke Gestalt mit den zerzausten blonden Locken im Eingang ihres Apartmentblocks auch erst im letzten Moment und konnte ihr nicht mehr ausweichen.
Chantelle! Wie hätte es auch anders sein können?
„Na, du bist mir ja vielleicht eine Heimlichtuerin!“, empörte sich ihre Mutter und ließ sich in der winzigen Küche auf einen Stuhl fallen, kaum dass die Apartmenttür hinter ihnen zugefallen war. „Und dann gleich ein Earl ! Also hat meine Erziehung ja wenigstens ein bisschen gefruchtet.“
Bisher hatte Angel noch keinen einzigen Ton hervorgebracht, weil sie weder ihrer Stimme noch ihrer Selbstbeherrschung traute. „Hast du mir einen Check mitgebracht, Mutter?“, fragte sie jetzt eisig. „Denn solange du mir fünfzigtausend Pfund schuldest, erwartest du doch hoffentlich keine Einladung zum Kaffee?“
Chantelle sog gierig an ihrer Zigarette und blies den Rauch in die Luft. „Kein Wunder, dass ich dich in Santina kaum zu Gesicht bekommen habe!“, plauderte sie ungerührt weiter, als hätte sie ihre Tochter gar nicht gehört. „Ich dachte schon, du würdest mich meiden, dabei hast du die ganze Zeit über Lord Pembroke …“
„Wie konntest du?“, schnitt Angel ihr brüsk das Wort ab. „Fünfzigtausend Pfund! Was hast du dir dabei gedacht, derart dreist meine Unterschrift zu fälschen?“ Wie gern hätte Angel sich eingebildet, auch nur ein Fünkchen Schuldbewusstsein in den babyblauen Augen zu entdecken, aber das war reines Wunschdenken.
„Betrachte es einfach als kleinen Notfall“, riet Chantelle ihrer Tochter. „Du bekommst es natürlich zurück, das weißt du doch.“
„Wann hast du mir je etwas zurückgezahlt?“
„Ach, das ist doch jetzt völlig unwichtig, wo du doch bald eine echte Countess bist und im Geld schwimmst, Sweetheart .“
Fassungslos starrte Angel in die funkelnden Augen, die ihren so sehr glichen. Sie hasste die nahezu frappierende Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Bisher war es nur die äußere gewesen, aber jetzt?
Jeder würde Vergleiche zwischen ihnen ziehen, sobald bekannt wurde, dass sie Rafe heiraten würde – und zu Recht. Sie war tatsächlich wie ihre Mutter!
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du auch nur einen Penny von mir bekommen würdest, selbst wenn ich den reichsten Mann der Welt heiraten sollte!“
Sofort wechselte Chantelle die Taktik, tänzelte zur Spüle, drückte ihre Zigarette aus und verlegte sich aufs Schmollen, was ihr besonders gut stand. „Ich habe dich ganz allein großgezogen, Angel …“ Ihre Stimme hatte jetzt genau das richtige Tremolo, um Steine zu erweichen.
„Allein?“, spottete Angel. „Hast du die Armada von Männern vergessen, die sich Tag und Nacht die Klinke in die Hand gegeben haben? Einige hatten wenigstens noch so viel Schamgefühl, sich als deine Lebensgefährten auszugeben, während … ach, was soll’s …“ Frustriert winkte sie ab.
„Andere Töchter in deiner Position würden sich dankbarer zeigen.“ Chantelles Stimme hatte jetzt einen harten Unterton. „Ich war ja selbst noch ein Kind, als ich dich bekommen habe.“
Ihre Tochter lachte spröde. „Ich bitte dich, Chantelle. Du warst nie ein Kind!“
„Und warum? Weil ich keine Wahl hatte“, kam es postwendend zurück. „Wie hätte ich uns denn sonst ernähren und versorgen sollen?“
Mutter und Tochter duellierten sich mit Blicken, und plötzlich hatte Angel das Spiel gründlich satt. „Warum bist du hier, Mum “, fragte sie ruhig. „Das Geld kannst du mir nicht zurückzahlen, und eine Entschuldigung scheint dir auch nicht auf der Zunge zu brennen. Also …“
„Hat eine Mutter nicht das Recht, sich zu erkundigen, wie es ihrem Kind geht?“, wechselte Chantelle erneut die Taktik. „Besonders da du seit Tagen nicht ans Handy gehst?“
„Nicht immer wieder die gleiche Leier, bitte! Gleich kommt etwas, das mich dazu bringt, Dinge zu sagen, die mich später in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Du tust es jedes Mal, aber ich spiele nicht mehr mit.“
„Auch wenn du vielleicht bald eine Countess sein wirst …“, Chantelles Stimme war jetzt ebenso hart wie ihr Blick, „… deine Wurzeln wirst du nie verleugnen können. Und wir beide sind uns sehr ähnlich, Sweetheart , nur bin ich viel aufrichtiger als du.“
„Du weißt doch gar nicht, was das Wort
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