Wie angelt man sich einen Earl
Dunkel der schweren Limousine saß, war eiserne Entschlossenheit.
„Wir werden sehen“, kam es gelassen zurück. „Ich würde dir einen Rückzieher jedenfalls nicht übel nehmen.“
Angel schluckte heftig. „Keine Chance!“, hatte sie gewollt forsch erwidert. „Und ich bin nicht beschwipst. Oder baust du vor, weil du kalte Füße bekommen hast?“
Er antwortete nicht, und die restliche Fahrt verlief in tiefem Schweigen.
„Ruf mich an, wenn du in London bist …“, sagte er schließlich, als der Wagen vor ihrem Hotel hielt, „… oder lass es.“
Immer noch aufgewühlt von seiner rüden Behandlung, wählte Angel gleich nach der Landung in Heathrow Rafes Nummer und noch einmal, sobald sie in ihrem Apartment angekommen war. Nur um die Sache mit dem Champagner noch einmal klarzustellen! Zumindest musste das als Ausrede für sie selbst herhalten.
„Hallo, Liebster “, zwitscherte sie beim zweiten vergeblichen Versuch auf seine Mailbox. „Auch nach zwei Tagen ohne Champagner will ich die Heirat immer noch, wie ich es dir prophezeit habe. Und noch etwas, Rafe, im Gegensatz zu dir würde ich es sehr übel nehmen, solltest du versuchen, einen Rückzieher zu machen.“
Natürlich wollte Angel die Heirat, die finanzielle Rettung … ihn.
Rafe McFarland … Lord Pembroke … Earl und Rettungsengel in einer Person. Er war die Antwort auf ihre Gebete. Bald wäre sie reich und adelig. Kein schlechtes Ergebnis für eine verwegene Idee während eines Flugs und einen einzigen Tanz auf einem Verlobungsball, oder?
Was Angel tief in ihrem Inneren noch außer hysterischer Euphorie empfand, etwas Dunkles, zu beklemmend, um es an die Oberfläche zu lassen, versuchte sie zu ignorieren.
„ Sorry , aber für den Rest der Woche habe ich wichtige Geschäfte zu erledigen“, teilte Rafe ihr nüchtern mit, als er sie endlich zurückrief.
Gerade hatte Angel sich zu fragen begonnen, ob die ganze verrückte Geschichte nur ein Traum gewesen war. Oder ein Ausbund ihrer Fantasie, um den Schmerz über Chantelles letzten und größten Betrug zu lindern. So, wie sie schon als kleines Mädchen Geschichten erfunden hatte, wenn sie nachts allein in ihrem Bett gelegen und versucht hatte, ihre Einsamkeit und Angst zu betäuben, solange ihre Mutter mit guten Freunden unterwegs gewesen war.
Doch Rafes Erklärung folgte auf dem Fuß und beruhigte sie zumindest ein bisschen. „Bei der Terminabsprache gab es eben noch keine Verlobte in meinem Leben.“
Verlobte!
Das Wort verursachte ihr eine Gänsehaut, aber warum, hätte Angel nicht sagen können.
„Oder ist das nur ein weiterer Test?“, fragte sie leichthin, obwohl sie die Antwort kannte. Rafe wollte sichergehen, dass sie jedes Wort auch so meinte, wie sie es am Ballabend gesagt hatte. Ob sie immer noch entschlossen war, ihren verrückten Plan durchzuziehen, und ob er überhaupt der Richtige für diesen Deal war.
Ganz davon abgesehen, ob sie die richtige Frau für ihn war! Konnte sie es ihm verübeln? Immerhin brachte er viel mehr als sie in diesen Teufelspakt ein.
Sie selbst bezweifelte ernsthaft, dass ausgerechnet sie seine ultimative Chance war, um den gewünschten Erben zu zeugen. Ungeachtet seiner negativen Selbstdarstellung musste es doch jede Menge williger Frauen geben, die bereit waren, sich mit Reichtum und Titel über den äußeren Makel des Earls of Pembroke hinwegzutrösten.
Seltsamerweise dachte Angel immer seltener an Rafes Narben, sondern vielmehr an die verstörenden Emotionen, die er in ihr auslöste. Auf der einen Seite fühlte sie sich durch die drückenden Schulden verzweifelt und hilflos, gleichzeitig aber auch belebt und von einer unbestimmten Sehnsucht erfüllt.
Rastlos wanderte sie in ihrem Apartment und zwischen ihren Schätzen umher, an die sie sich verzweifelt geklammert hatte, um ihrem kümmerlichen Leben zu entfliehen, und die sie jetzt nicht schnell genug loswerden konnte. Wenige schlichte Möbel und Unmengen von Büchern, die sie aus Chantelles Reichweite geschafft hatte, da sie ihren Spott fürchtete. Jedes von ihnen entweder eine Flucht in eine Fantasiewelt, ein Abenteuer oder eine Erweiterung ihres Bildungshorizonts.
Und wohin hat dich deine heimliche Lese- und Lernsucht gebracht? verspottete sie sich selbst. Jetzt endest du genau wie deine Mutter als nutzloses Anhängsel eines Mannes, der für dich bezahlt!
„Kein Test, aber genügend Zeit zum Reflektieren und Nachdenken“, lenkte Rafe ihre Aufmerksamkeit auf das Telefongespräch zurück.
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