Wie angelt man sich einen Earl
hielt es nicht an.
Als der Morgen graute und sich der Himmel vor ihrem Fenster blassblau färbte, gab Angel auf. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Heimgesucht von wilden Fantasien, die sich ausschließlich um das atemberaubend erotische Intermezzo zwischen Rafe und ihr drehten. Seine erfahrenen Hände, die zärtlich grausamen Lippen, so fordernd, bedacht und wissend, mit denen er glühende Feuerpfade …
Und dann der frostige Blick, als er geglaubt hatte, sie wolle ihn zurückweisen und sähe lieber jemand anderen an seiner Stelle. Dachte er wirklich, es läge an seinen Narben? Fast wünschte Angel sich, es wäre so einfach, obwohl das Rafe gegenüber nicht fair war. Doch die Angst, er könnte ihre wahren Empfindungen für ihn bemerken, war größer als die Bereitschaft, dieses unsinnige Missverständnis aufzuklären.
Wenn sie nur vorher geahnt hätte, wie schwierig es werden würde, einen Mann allein seines Geldes wegen zu heiraten. Was für Fallstricke der Gefühle plötzlich auftauchen und einen ins Straucheln bringen konnten. Womöglich wurde sie noch gezwungen, ihre Mutter in einem völlig neuen Licht zu sehen! Denn was immer Chantelles Fehler auch sein mochten, sie hatte es zumindest fertiggebracht, jahrelang eine Ehe aufrechtzuerhalten, die allein auf Bobby Jacksons Ruhm und Geld basierte.
Doch sie war nicht wie ihre Mutter, abgesehen von den äußerlichen Attributen. Chantelle hatten nie irgendwelche Zweifel an den teilweise abstrusen Entscheidungen in ihrem Leben bewegt, während sie Angel nach nur zwei Wochen fast umbrachten!
Sie wollte und verlangte einfach zu viel. Sich zu wünschen, Rafe würde mit ihr reden wie mit einem Freund, sie anlächeln, ihr zuhören und eine gute Meinung von ihr haben, war absolut vermessen. Heimlich wünschte sie sich nicht nur, dass er sie mögen, sondern sich vielleicht sogar in seine gekaufte Frau verlieben würde! Und sie begehren, wie keine andere Frau zuvor.
Wie albern und unsinnig ist das denn? warf sich Angel selbst vor, doch es half nichts. Ihr eigenes brennendes Verlangen war etwas, das sie weder verstand noch akzeptieren konnte. Selbst jetzt, Stunden nach dem kurzen erotischen Intermezzo, verlangte ihr Körper intensivere Nähe und ultimative Befriedigung. Es war eine süße Qual, die sie kaum ertrug. Sie hätte schreien können, weinen …
Nein, keine Tränen! verordnete Angel sich selbst. Sie war entsetzt, wie nahe sie dran war, sich zu verlieren. Das Ganze war ein riesiger Fehler gewesen. Ihr Fehler!
Es dauerte keine fünf Minuten, da stand sie in ihrer Lieblingsjeans und einem langärmeligen Pullover in der kühlen Morgenfrische. An den Füßen flache Stiefel, um den Hals einen wärmenden Schal. Vorsichtshalber hatte sie ihr Portemonnaie in die hintere Hosentasche gesteckt, eher um im Notfall identifiziert werden zu können als aus anderen Erwägungen heraus.
Mehr brauchte sie nicht, und schon gar nicht von Rafe. Sie war mit nichts hierhergekommen, und so würde sie auch wieder gehen. Das Einzige, woran sie denken konnte, war von hier wegzukommen und etwas zu finden, was ganz allein ihr gehörte. Für immer.
Auf leisen Sohlen verließ Angel die luxuriöse Suite der Countess of Pembroke , die sich seit ihrer Ankunft nicht wie ihr eigenes Reich angefühlt hatte. Während sie behutsam die schwere Eingangstür hinter sich zuzog, fiel ihr zum ersten Mal auf, wie geräuschvoll sich das alte Herrenhaus bemerkbar machte. Als wollten unsichtbare Geister verhindern, dass sie sich einfach so verdrückte.
Hauptsache, ich ende nicht wie eine dieser bedauernswerten, wahnsinnigen Frauen, die man im Laufe der Jahrhunderte auf dem Dachboden weggesperrt hat. Was blieb den Armen denn anderes übrig, als ihrer Nachwelt als trauriges Gespenst zu erscheinen?
Allein die Vorstellung ließ sie schaudern.
Zum Glück wich die Bedrückung langsam, während Angel durch den frühen Morgen wanderte. Mit jedem Schritt schien das Tageslicht zuzunehmen und vertrieb die düsteren Schatten, die sie im Hausinneren niedergedrückt hatten. Ganz tief sog sie die kühle würzige Luft in ihre Lungen und sah den dampfenden Wölkchen nach, die beim Ausatmen entstanden. Unter ihren Füßen knirschte der überfrostete Weg leise, der sie vom Manor weg in Richtung eines dichten Wäldchens führte.
Ich laufe nicht weg! sagte sich Angel ein ums andere Mal. Ich nehme mir nur eine Auszeit … zum Reflektieren, Nachdenken, Neue-Pläne-Schmieden …
Und das tat dringend not! Zu beängstigend war
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