Wie angelt man sich einen Earl
lächelte dünn. „Im Grunde bin ich froh, dass du über einen so großen Besitz verfügst“, schwenkte sie um. „Mein Drang zu fliehen schwand rapide, als nach zweihundert Metern immer noch kein Taxistand auftauchte.“
Ihre launige Erklärung entlockte ihm nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was dich zu dieser frühen Stunde aus dem Haus getrieben haben könnte.“
Er provozierte sie ganz bewusst, und das tat Angel weh. Es war schlimm für sie, nicht gut für ihn und die spannungsgeladene Situation zwischen ihnen beiden. Diese kaltherzig geschlossene Vernunftehe, die sie inzwischen bitter bereute. Nicht zum ersten Mal fragte sich Angel, wo sie heute stehen würden, hätte sie das verflixte Geld nie erwähnt. Aber das würde sie wohl niemals erfahren.
Ohne nachzudenken, trat sie vor und umfasste Rafes Gesicht mit beiden Händen. Als sie dabei seine Narben berührte, zuckte er zusammen, doch Angel ließ sich nicht irritieren. Nicht einmal, als er ihre Hände mit seinen umfasste, als wollte er sie wegziehen. In seinem Blick lag etwas, das ihre Brust ganz eng machte – ein tiefer, dumpfer Schmerz, dem sie nicht auswich.
„Ich habe zuerst dich gesehen“, sagte sie leise und eindringlich. Die wenigen Worte bekamen durch die besondere Umgebung ein ganz eigenes Gewicht. Am Ufer des dunklen Sees, vor dem grünen Waldsaum mit der hohen Gebirgskette im Hintergrund, schauten sie einander stumm an. „Ich sah deine wundervollen grauen Augen, deine Ernsthaftigkeit und Stärke, und es hat mir den Atem verschlagen.“
„Was du gesehen hast, war ein reicher Mann, der dir aus deinen Schwierigkeiten helfen konnte“, entgegnete er hart.
„Das auch“, stimmte Angel zu, weil es die traurige Wahrheit war. Doch im Moment zählte es nicht. Mit wehem Lächeln schaute sie zu ihm auf. Es war nicht aufgesetzt, keine Maske, sondern einfach nur das, was sie empfand. „Erst danach sind mir deine Narben aufgefallen, Rafe.“
„Ach, Angel.“ Seine Stimme klang wie geborstenes Glas. „Glaub mir, die Narben sind unser kleinstes Problem …“
8. KAPITEL
Nach diesem bemerkenswerten Morgen etablierten Angel und Rafe eine gewisse Routine im Zusammenleben, das nun fast einer normalen Ehe glich, zumindest tagsüber.
Nach ihrem mutigen Statement hatte Rafe seine Frau lange und eindringlich angeschaut, als kämpfe er mit aller Macht gegen die Dämonen in seinem Inneren. Als Angel sah, wie das stürmische Grau seiner bemerkenswerten Augen zu einer Farbe wechselte, die an flüssiges Silber erinnerte, atmete sie innerlich auf.
Seite an Seite waren sie schweigend nach Pembroke Manor zurückgekehrt. Angel immer noch verstört von ihrem ungewöhnlichen Benehmen, Rafe gewohnt düster und in eigene, schwere Gedanken verstrickt.
Seitdem frühstückten sie gemeinsam im kleinen Speisezimmer, durch dessen Fenster man das Loch unterhalb des Hügels liegen sah und im Osten ein gewaltiges Gebirgsmassiv. An warmen Sommertagen musste der Raum um diese Zeit von hellem Sonnenlicht erfüllt sein. Rafe saß gewöhnlich vor einem reich beladenen Teller, der an das kräftige Frühstück eines Farmers oder Landarbeiters denken ließ, während Angel sich mit Kaffee begnügte. Allerdings mit dem besten, den sie je getrunken hatte!
„Woher stammt der nahezu wollüstige Ausdruck auf deinem Gesicht?“, fragte Rafe sie eines Morgens. Seine Stimme schwankte zwischen Irritation und Amüsement.
Erst da wurde Angel bewusst, dass sie die Augen geschlossen hielt, während sie genussvoll an ihrem Kaffee nippte. „Wahrscheinlich, weil ich mich genauso fühle“, seufzte sie ekstatisch. „Ich nehme an, du beziehst diesen Kaffee direkt aus dem Garten Eden? Eine andere Erklärung für den unglaublichen Geschmack kann ich mir kaum vorstellen.“
„Er kommt aus Kenia. Mein Urgroßvater hat dort Anfang des vorigen Jahrhunderts eine kleine Kaffeeplantage gekauft. Mir schmeckte der Kaffee schon immer ausgezeichnet, aber ich bin ja auch voreingenommen.“
Angel starrte sekundenlang in ihren Keramikbecher, dann schaute sie auf und schüttelte lächelnd den Kopf. „Mit dir ist nichts einfach, oder? Bestimmt warst du noch nie beim Kaufmann im nächsten Ort, hast da einen normalen, handelsüblichen Instantkaffee gekauft und ihn einfach mit heißem Wasser aufgebrüht. Bei dir muss der Kaffee gleich von der Familienplantage kommen. Und natürlich auch noch aus Kenia, um es besonders exotisch und abgefahren klingen zu lassen.“
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