Wie ausgewechselt
getan, um Deutscher Meister zu werden. Wir sind Gott sei Dank ein toller Zweiter, sind Vizemeister geworden. Wisst ihr was? Ja, wisst ihr was? Wir sind stolz auf euch! Und ihr, ihr könnt stolz auf die Mannschaft sein. Und jetzt lasst uns feiern.«
Manche Party artet dann aus. Einige Spieler treffen sich bei Frode Grodas, dem norwegischen Ersatzkeeper. Die Mischung aus Alkohol und Frust lässt nicht nur bildlich die Wände wackeln. Ein Wandteller aus Porzellan wird zur Ersatzmeisterschale. In der Woche darauf muss Grodas das Wohnzimmer renovieren lassen.
Stevens schickt seine Frau Toos mit den Kindern in die Heimat, er will jetzt allein sein. »Mir ging es bescheiden, und ich habe diesen Misserfolg ganz allein mit mir ausgemacht. Ich bin in mein Appartement in Gelsenkirchen gegangen und habe dort eine Flasche Weißwein geleert, den Fernseher aber nicht mehr angemacht.« Eine vernünftige Variante der Frustbewältigung. Teamassistent Müller erinnert sich an die vorwiegende Losung des angebrochenen Abends: »Wir haben mit ein paar Wutbierchen angefangen und uns dann so richtig weggeschossen. Das war Frustsaufen pur.« Für Müller endet die Nacht auf der Polizeiwache. Seinen Führerschein verliert der Azubi von Assauer auf noch spektakulärere Weise als Schalke zuvor die Meisterschaft. »Als wir zu später Stunde schließlich heimwollen, biete ich an, Rudis damalige Freundin Simone samt Tochter im Auto mitzunehmen. Meine Frau will fahren, und ich Depp sage, wie man das so macht, wenn man wütend ist und einen im Tee hat: ›Nee, lass mich. Kein Problem, ich fahre. ‹ « Damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Müller lässt die Damen vor ihrer Haustüre raus, will noch kurz wenden und setzt zurück. Aus unerfindlichen Gründen geht am Hause Assauer plötzlich die Alarmanlage los. Ein Fehlalarm, und die eintretenden Frauen stellen die Sirene per Code rasch wieder aus. Doch in diesem Moment steht in der Straße ein Streifenwagen. »Die hören den Alarm und sehen gleichzeitig, wie ein Wagen zurücksetzt«, erinnert sich Müller. » Ich denke mir, ach du Scheiße. Du hast getrunken, wenn sie dich jetzt kontrollieren, bist du den Lappen los. Dann setzt meine Birne aus, eine Kurzschlusshandlung. Ich drücke aufs Gas, rase los, will die Bullen abhängen. Meine Frau schreit mich an, ob ich jetzt durchgeknallt sei. Die Polizisten und ich liefern uns eine kleine Verfolgungsjagd durch Gelsenkirchen, bis ich irgendwo in einer Sackgasse lande. Aus, vorbei. Jetzt haben sie mich. Ich sage zu meiner Frau: ›Mach’s gut, ich hau ab!‹ Die nächste Kurzschlusshandlung: Ich türme aus dem Wagen, laufe quer durchs Gebüsch, die Polizisten hinterher. Plötzlich vor mir ein Zaun, ich komme nicht drüber. Ende Gelände. Das war’s. An den Ohren ziehen mich die Beamten aus dem Gebüsch, die Knarre am Kopf. Wie ein Schwerverbrecher werde ich mit den Händen auf dem Rücken zum Auto zurückgebracht, ich hatte es ja nicht anders verdient. Dann geht’s ab aufs Revier.«
Müller wird der Führerschein für zehn Monate entzogen, und er muss eine empfindliche Geldstrafe zahlen. »Ich habe am nächsten Morgen Rudi angerufen, ihm die ganze Story erzählt. Der hat sich kaputtgelacht. Wir hatten einen Termin gemeinsam, doch er meinte: ›Du bleibst schön mit dem Arsch zu Hause, ist besser so.‹ Recht hatte er.«
»Ich bin in der Nacht noch allein in mein Stammrestaurant Vitali gefahren, habe noch eine Weile am Tisch gesessen und vor mich hinsinniert. Das Ganze war ein harter Schlag für mich. Ein Genickschlag für alle Schalker. Ich dachte mir, eine solche Entscheidung am letzten Spieltag der Bundesliga wird es in den nächsten 20, 30 Jahren nie mehr geben. Erst in den Morgenstunden bin ich nach Hause.«
Stevens gibt heute zu: »Das Erleben dieser letzten Minuten hat mich verändert. Eine solche Erfahrung trägt man ein Leben lang mit sich. Das kann man nicht mehr auslöschen. Es heißt ja auch: einmal Schalker, immer Schalker.« Und Müller meint: »Das Ganze war typisch für Schalke. Immer ist irgendwas in letzter Sekunde dazwischengekommen. Davon lebt dieser Verein aber auch. Und die Fans sind ja leidensfähig. Seit Jahren, seit 1958, rennen sie dieser letzten Meisterschaft hinterher. Das motiviert diesen Verein aber auch, das hält ihn am Leben.«
»Was in den Tagen danach passierte, war überwältigend. Am Montag hatten wir über 500 neue Vereinsmitglieder, die aus Sympathie beigetreten sind. Zum letzten Training vor unserer Abreise zum
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