Wie ausgewechselt
Abteilung, den Betreuern und einzelnen Angestellten. »Es gibt Zeiten zum Kommen und zum Gehen. Jetzt ist die Zeit zum Gehen gekommen«, sagt Stevens mit zitternder Stimme. »Es ist ein Traum, sich mit dem Titel zu verabschieden.« Heute noch bekommt Stevens sofort Gänsehaut, wenn er davon erzählt: »Meine Rede habe ich ohne Vorbereitung und ohne Spickzettel gehalten. Es sollte mein ganz spezielles, großes Dankeschön sein.« Assauer schluchzt. Um drei Uhr früh hält er mit vibrierenden Lippen seine Rede. Fünf Eurofighter, die 1997 mit dem Gewinn des UEFA-Cups Vereinsgeschichte geschrieben haben, verlassen den Verein oder beenden ihre Karriere: Olaf Thon, Jiri Nemec, Michael Büskens, Yves Eigenrauch und Youri Mulder.
»Es tat mir wirklich weh, Leute zu verabschieden, an die ich mich gewöhnt hatte, die für mich Weltklasse waren. Ich war stolz auf die Jungs, bedankte mich. Sie hatten Großartiges für den Verein geleistet und daher auf Schalke immer eine Heimat.«
Den Pokal muss Assauers Sekretärin Sabine Söldner bewachen. Stevens sagt zu ihr: »Nehmen Sie den Pokal nach Ende der Party bitte mit – und stellen sie ihn im Hotelzimmer auf Ihren Nachttisch. Dann ist er sicher.« Söldner legt den Pokal neben sich ins Bett. Sicher ist sicher. Die Nacht übersteht der Pott dann auch ohne Probleme, die Feierlichkeiten am nächsten Tag in Gelsenkirchen jedoch nicht. Denn Assauer gleitet das gute Stück während des Triumphzuges durch die Stadt aus den Händen und kracht von einem Tieflader hinunter auf den Asphalt. Ein teures Malheur. Die Generalüberholung dauert fünf Monate und kostet 34 000 Euro.
»Ich wollte den Pokal vom Festwagen zu den Fans herunterreichen, damit die mal anfassen konnten. Und Schwupps, war er unten. Ist ja sechs Kilo schwer, der Pott. Das war natürlich keine Absicht, kann aber mal passieren. Das Ding hatte ’ne dicke Beule und sah danach aus wie der schiefe Turm von Pisa. Im Sommer 2011 haben die Stars von Real Madrid mir das nachgemacht bei ihrer Pokalparty, da ist sogar der Bus drübergerollt. Die Reparaturkosten habe ich aus eigener Tasche bezahlt.«
Zuvor stellen die Schalker den schiefen Pokal einige Wochen im Vereinsmuseum aus. Wilhelm Nagel, der 1964 die Trophäe entworfen und gefertigt hatte, findet die ganze Sache im Mai 2002 nicht so lustig: »Der Pott war total demoliert – verzogen, verbogen und verbeult. Ich musste die verbogenen oberen Ringe austauschen, den krummen Sockel entbeulen, die Seiten entdellen, Bergkristalle und Turmalien neu einsetzen. 700 Arbeitsstunden hat die Reparatur gedauert.« In seiner Wut schimpft der Kölner Goldschmied damals: »Mit Rudi Assauer will ich nie mehr reden. 38 Jahre lang ist nichts passiert, und dann das.«
»Damals sagte ich leicht arrogant: ›Wenn wir den Pott gewinnen, haben wir die Möglichkeit, ihn wieder kaputt zu hauen. Den geraden Pokal wollen die Fans bei uns im Museum sowieso nicht sehen.‹ War nicht so nett von mir.«
Unter anderem wegen solcher Aussagen sagt Dortmunds Manager Michael Meier einmal über den Schalke-Manager: »Ich habe Herrn Assauer nie als Kaschmirproleten bezeichnet. Ich habe Herrn Assauer Kaschmirhooligan genannt.«
Nach dem Abschied von Huub Stevens im Mai 2002 hat Assauer kein glückliches Händchen mehr. Mutig setzt er auf den jungen und unerfahrenen Frank Neubarth als Trainer. Vor Weihnachten ist dessen Saison jedoch beinahe schon beendet. Im Dezember scheitert der Titelverteidiger im Pokal-Achtelfinale im Elfmeterschießen am FC Bayern und in der dritten Runde des UEFA-Cups sensationell mit einem 1 : 4 in der heimischen Arena gegen Wisla Krakau. Eine Blamage. Marc Wilmots, der in jener Saison noch zehn Bundesligaspiele absolvierte, wird daraufhin von Assauer am 26. März 2003 als Nachfolger von Neubarth in die Verantwortung genommen. Der Trainernovize führt Schalke auf Rang sieben. Assauer ändert nun den Kurs und verpflichtet für die kommende Saison Jupp Heynckes, einen Mann mit Erfahrung.
»Zuvor hatte ich damals mit Louis van Gaal verhandelt, eigentlich wollte ich den nächsten Niederländer nach Schalke holen. Der hatte gerade sein zweites Engagement beim FC Barcelona hinter sich. Van Gaal ist ein Trainer, der sehr viel Wert auf Disziplin legt. Die Bayern haben ja später erlebt, wie er ist: Auf dem Trainingsplatz immer unter Strom, schreit wie ein Bekloppter herum. ›Stopp!‹, brüllt er, wenn ihm etwas nicht passt, und dann geht er auf den Spieler los, der einen Fehler gemacht hat:
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