Wie ausgewechselt
aus. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatte Stevens bereits seine schwierigste Entscheidung getroffen: Er verlässt den FC Schalke nach Ende der Saison im Juni 2002. »Ich habe nach fünfeinhalb Jahren gemerkt, dass es auseinandergehen muss. Die Spieler brauchten auch mal wieder ein anderes Gesicht, eine andere Stimme«, sagt Stevens in der Rückschau. »Im Oktober habe ich Rudi Assauer um ein Gespräch gebeten. Ich wusste, dass ich ihm mit meiner Entscheidung wehtun würde. Aber ich musste das tun – es war für alle das Beste, dachte ich damals. Rudi reagierte sehr enttäuscht und sagte einfach nur: ›Nein, das geht nicht.‹ Mein Beschluss aber war unumstößlich. Im Nachhinein muss ich sagen: Vielleicht wäre ich besser noch etwas geblieben. Der Kontakt zu Hertha BSC kam erst nach Weihnachten zustande. Ich informierte Rudi, dass die Berliner mich ab Sommer 2002 verpflichten wollen. Der Mannschaft teilte ich es direkt vor unserem Auswärtsspiel im Dezember bei Hansa Rostock in der Kabine mit – und trotz der Unruhe gewann die Truppe mit 3 : 1. Das war sensationell. Mit den Bossen vereinbarte ich für Anfang Januar ein Gespräch auf der Schalker Geschäftsstelle darüber, wie es weitergehen sollte. Ich rechnete eigentlich damit, dass sie mich schon zu diesem Zeitpunkt, ein halbes Jahr vor Ende meines Vertrages, entlassen würden.«
»Huub hatte im Jahr zuvor einen unbefristeten Vertrag bei uns unterschrieben. Mit der Klausel, dass beide Seiten jedes Jahr kündigen konnten. So viel Vertrauen hatten wir zueinander. Ich habe in dem Gespräch mit Schatzmeister Schnusenberg zu Huub gesagt: ›Bitte sei ehrlich zu mir: Was denkst du denn, was passiert, wenn wir die nächsten drei Spiele verlieren? Wie werden dann wohl die Fans reagieren?‹ Huub meinte in seiner typischen trockenen Art: ›Und was passiert, wenn wir die nächsten drei Spiele gewinnen?‹ So hatte er mich überzeugt, das Ding durchzuziehen. Am liebsten bis zum Saisonende.«
Es wird ein schönes, erfolgreiches Ende. Das Risiko, mit einem Trainer auf Zeit in die Rückrunde zu starten, geht auf. Bei Misserfolg hätten die Fans wohl rebelliert, Stevens sei mit den Gedanken schon bei Hertha und man hätte kurzfristig einen neuen Trainer einstellen müssen. Die drei Spiele nach der Bekanntgabe seines Wechsels im Sommer zu Hertha BSC gewinnt Schalke tatsächlich, sogar vier. Zum Auftakt gar furios mit 5 : 1 gegen den FC Bayern.
Im Pokalfinale trifft Schalke auf Bayer Leverkusen. Diesmal sind die Zeichen umgekehrt. Leverkusen ist in der Meisterschaft nur Zweiter geworden und schleppt eine Enttäuschung mit ins Endspiel am 11. Mai 2002. Wie im Vorjahr erzielt Jörg Böhme das erste Schalker Tor, es ist der 1 : 1-Ausgleich. Kurz vor der Pause werden Stevens und Leverkusens Coach Klaus Toppmöller wegen Reklamierens gemeinsam auf die Tribüne geschickt. Stevens gibt nun über Handy von der Tribüne aus Kommandos und taktische Anweisungen an Assauer weiter, der unten auf der Trainerbank sitzt. Der Notplan funktioniert. In der zweiten Halbzeit erhöhen Victor Agali, Andreas Möller und Ebbe Sand auf 4 : 1. Am Ende steht ein überlegenes 4 : 2, die Titelverteidigung des Pokals ist geschafft.
»Leverkusens Manager Reiner Calmund trug schon während des Spiels auf der Ehrentribüne unterm Sakko ein Sieger-T-Shirt, man konnte es sehen. Das macht man nicht. Und wenn überhaupt, sollte man sich nicht erwischen lassen. Aber der Calli hat das Shirt ja nicht gebraucht. Nach dem Abpfiff habe ich mir noch auf dem Rasen des Olympiastadions einen Schluck Bier aus einem dieser riesigen Drei-Liter-Gläser gegönnt. Ich war so froh, dass unser Plan mit Huub aufgegangen war. Jetzt konnten wir feiern, noch ausgelassener als 2001. Weil einfach diese Erleichterung da war. Wie im Vorjahr logierte unser gesamter Tross im Hotel Steigenberger. Wir hatten alle Angestellten als Dankeschön für ihre Arbeit zum Finale nach Berlin eingeladen. So erlebten sie den Abschied von Huub und einigen Spielern. Es wurde ein Fest der Tränen.
Als Huub zu später Stunde seine Abschiedsrede gehalten hat, bekamen die meisten im Saal feuchte Augen. Auch ich. Daher habe ich ihm noch mal gesagt: ›Du weißt, dass du einen Fehler machst, wenn du Schalke verlässt.‹ Auch er hatte schwer zu kämpfen gegen die Tränen.«
Während seiner Rede geht Stevens mit dem Mikrofon in der Hand von Tisch zu Tisch, von einem Spieler zum nächsten, bedankt sich auch bei jedem Mitglied des Trainerstabes, der medizinischen
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