Wie ausgewechselt
wechselt nicht nur ein Dortmunder zum Erzrivalen, sondern aus Sicht der Fans die Symbolfigur des verhassten Nachbarn. Ausgerechnet Möller, den sie entweder »Heintje« oder »Heulsuse« riefen und dem sie bei Revierderbys mit Taschentüchern zuwedelten. Einer ganzen Stadt fällt förmlich die Kinnlade herunter. Damit hat sich Assauer aus Sicht der eingefleischten Schalke-Fans des Hochverrats schuldig gemacht.
»Möllers Vertrag in Dortmund lief aus, die Verhandlungen über eine Verlängerung waren ins Stocken geraten, wie ich hörte. Da habe ich das Rädchen bei mir oben angeschmissen und mir gedacht: Verdammte Hacke! Warum eigentlich nicht? Noch dazu war er sogar ablösefrei. Ich habe mich mit ihm getroffen und ihm gesagt: ›Junge, wir brauchen dich!‹ Die Verhandlungen verliefen schnell und unkompliziert, in drei Tagen waren wir durch. Das ging ratzfatz.«
Möller, damals 32 Jahre alt, hat bis zu seinem Wechsel zum FC Schalke 85 Länderspiele bestritten, ist Welt- und Europameister und mit Dortmund Meister, Champions-League-Gewinner und Weltpokalsieger geworden. Eine beeindruckende Erfolgsbilanz – das einzige Manko: Der Mann ist, durch die Schalker Brille gesehen, Borusse. Bei seiner öffentlichen Vorstellung in einer Pressekonferenz wirbt Assauer im Mai 2000 um Verständnis:
»Mir ist bewusst, dass der Transfer bei einigen Fans auf Unverständnis stößt. Aber ich bitte um eine faire Chance für Möller. Andy ist der torgefährlichste Mittelfeldspieler der Bundesliga. Wir haben jemanden mit seiner Kreativität, seiner Fußballintelligenz und Klasse gesucht. Er ist ein Mann, der Spiele allein entscheiden kann.«
Der umstrittene Möller kommt ablösefrei und unterschreibt einen Zweijahresvertrag mit Option auf eine weitere Saison. »Ich dachte im ersten Moment, das sei ein Scherz, ein typischer Rudi-Witz. Andy Möller? Der doch nicht! Meinst du das ernst, habe ich ihn gefragt«, erinnert sich Huub Stevens an das erste Gespräch über den möglichen Neuzugang. »Dann habe ich gesagt: ›Manager, das ist ein Risiko. Wenn er kommt, spielen die Leute verrückt.‹ Was das Sportliche betraf, war ich einverstanden. Denn Möller war damals auf seiner Position der Beste, eben der Typ, der den Ball schnell auf unsere Stürmer spielen konnte. Mit Ebbe Sand und Emile Mpenza da vorne würde das passen. Möller zu Schalke – niemand anderes wäre auf so eine abwegige Idee gekommen. Aber Rudi machte eben das Unmögliche, das Undenkbare. Er hat das durchgezogen, gegen alle Widerstände. Doch Andy Möller hat den meisten Mut gebraucht, um nach Schalke zu kommen.«
Möller gibt in der Folge brave Statements ab, nur nichts falsch machen gleich zu Beginn. Der Wanderer zwischen den Welten sagt Sätze wie: »Ich bin nie den einfachen Weg gegangen, ich will noch mal alles aus meinem Körper herausholen, im letzten Drittel meiner Karriere noch mal guten Fußball zeigen. Es ist eine riesige Herausforderung. Diesen Berg will ich jetzt besteigen. Mit aller Macht, ich will es schaffen. Aber ich weiß, dass es verdammt schwierig wird.«
»Ein gewaltigeres Echo auf einen Transfer gab es in meiner gesamten Managerlaufbahn nicht. Es war ein Ausruf des Entsetzens: Möller zu Schalke – wie kann der Assauer nur? Hat der eine Zigarre zu viel geraucht? Ist der betrunken? Verrückt geworden? Das waren noch die harmloseren Dinge. Viele Fans drohten in wütenden Schreiben und Anrufen mit Vereinsaustritt, manche setzten die Drohung sofort in die Tat um. Fanklubs schickten ihre Dauerkarten zurück, einige wollten die Heimspiele künftig boykottieren. Vor der Geschäftsstelle tummelten sich schon kurz nach der Pressekonferenz etwa 100 Fans. Es war beängstigend. Wir sahen von drinnen, wie draußen der Mob tobte. Eine böse, aggressive Stimmung, die Leute waren auf Krawall gebürstet. Meine Sekretärin ließ die Rollläden der Fenster herunter, weil ein paar Steine geflogen waren. Sie war kurz davor, den Ordnungsdienst und die Polizei zu rufen. Die Mitarbeiterinnen hatten Angst. Ich musste etwas tun. Mir war auch mulmig, als ich rausgegangen bin zu den Rabauken. Aber das durfte ich denen ja nicht zeigen. Ich habe gesagt: ›Leute, ihr könnt den Damen da drinnen nicht so eine Angst machen. Hört auf! Und wenn ihr wissen wollt, was ich zu dem Thema zu sagen habe, dann seid mal ruhig, hört mir mal zu.‹ Ich habe denen meine Sicht zu Möller erklärt. Danach wurde es etwas ruhiger, langsam haben sich die Kerle getrollt. Mann, Mann, Mann! Ich
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