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Wie ausgewechselt

Wie ausgewechselt

Titel: Wie ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudi Assauer , Patrick Strasser
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selbst die Optimisten unter den Schalker Fans Richtung Parkplatz. Man traut der eigenen Mannschaft jetzt nichts mehr zu. Viermal hat der Favorit geführt, nun muss er doch wohl als Sieger vom Platz gehen, oder?
    Es läuft die 123. Minute, die Nachspielzeit der Nachspielzeit. Da hat Olaf Thon eine merkwürdige Begegnung: »Auf dem Platz kreuzte Schiedsrichter Wolf-Günter Wiesel nach einem Foul bei einem Freistoß plötzlich meinen Weg und rief mir zu: ›Komm, Olaf, ein letzter Angriff noch!‹ Das muss man sich mal vorstellen: Ein Schiedsrichter sagt so etwas zu einem Spieler! Wiesel hat das Spiel nicht verpfiffen, aber man hat einfach die Sympathien gespürt für diese Schalker Mannschaft.«
    Der letzte Angriff des Spiels: Thon bekommt nach einem Abpraller im linken Teil des Strafraums den Ball und schießt ihn volley an Keeper Pfaff ­vorbei in die lange Ecke – 6 : 6. Das spektakulärste Tor zum Ende markiert den dramaturgischen Höhepunkt. Eine hollywoodreife Inszenierung. Für Thon geht es jetzt erst richtig los. Er wird von Mitspielern, Betreuern und Fans im Jubel beinahe erdrückt, dann auf Schultern von völlig entrückten Zuschauern durch das Parkstadion getragen. Es wird die wohl längste Ehrenrunde im deutschen Fußball. »Ich glaube, ich wurde rund 45 Minuten herumgereicht – tatsächlich waren es nur acht Minuten, wie man mir später sagte. Die Masse trug mich, es waren gefühlte 1000, aber wenn ich mir die Fotos anschaue, waren es doch nur 50 oder 100 Leute. Es lief alles wie in einem Film ab.« Mitten im Bad der Menge wird Thon am ZDF-Mikrofon live auf Sendung gefragt: »Stimmt es eigentlich, dass Sie den FC Bayern zu Ihrer Lieblingsmannschaft erkoren haben und dass Sie in Bayern-Bettwäsche schlafen?« Thon antwortet leicht verlegen, aber ehrlich: »Ja, das stimmt. Bayern war von Kindheit an mein Lieblingsverein. Aber jetzt spiele ich auf Schalke und schieße da meine Tore.« Seit er 1974, damals ein achtjähriger Knirps, das WM-Finale zwischen Deutschland und den Niederlanden im Fernsehen geguckt hat, ist er Fan von Siegtorschütze Gerd Müller und den Bayern.
    In den Tagen nach dem 6 : 6 reißen die Lobeshymnen nicht ab, Gelsenkirchen hat seit den Zeiten von Ernst Kuzorra endlich wieder einen Helden. Dass die Schalker im Wiederholungsspiel in München mit 2 : 3 verlieren, gerät da zur Randnotiz. Der damalige Bayern-Trainer Udo Lattek schwärmt danach noch immer vom ersten Spiel: »Bei seinem Kopfballtor ist Thon in der Luft gestanden wie früher Uwe Seeler zu seinen besten Zeiten. Damals habe ich auf der Pressekonferenz nach der Partie gesagt: ›Wenn ich zehn Millionen DM zur Verfügung hätte, würde ich den Jungen am liebsten sofort mit nach München nehmen.‹« Erst vier Jahre später kommt es wirklich so. Thon wird Bayer, für vier Millionen DM Ablöse.
    »Das Schöne an der Geschichte war: Von da an ging der Weg von Olaf Thon steil nach oben. Er hat eine tolle Karriere, eine Superkarriere gemacht. Am Anfang musste ich den jungen Olaf schützen, habe Interviews persönlich genehmigt oder untersagt, mich oft dazugesetzt. Olaf kam aus gutem Hause, er war nicht vorlaut, sondern wohlerzogen und manierlich. Als er mit 18 vom Mofa umsteigen und sich ein Auto kaufen wollte, habe ich geraten, auf einen kleinen BMW zu setzen, keinen PS-starken Flitzer zu nehmen. Die Leute sollten sehen: Der Thon hebt nicht ab.«
    Dank eines 2 : 0 bei Fortuna Köln steigt Schalke am 20. Mai 1984 wieder in die Erste Bundesliga auf. Und dies vor allem dank Olaf Thon, des Mittelfeld­regisseurs. Am 24. August 1984 bestreitet der 18-Jährige dann sein Debüt in der höchsten Spielklasse, es endet 1 : 3 in Mönchengladbach. Nach weiteren vier Monaten wird er von DFB-Teamchef Franz Beckenbauer in die Nationalelf berufen. Beim 3 : 2 der deutschen Elf im Dezember 1984 gegen Malta hat er seinen ersten Einsatz – als zweitjüngster Spieler in der Nationalmannschaft nach Uwe Seeler. Beckenbauer nennt ihn den Boris Becker des deutschen Fußballs. Mit 20 wird Thon, mittlerweile Schalker Kapitän, dann für die WM 1986 in Mexiko nominiert, kommt jedoch nicht zum Einsatz.
    Schalkes Abstieg 1988 als Tabellenletzter kann jedoch auch Thon nicht verhindern. Doch die Ankündigung, dass der Gelsenkirchener Junge, längst Herz und Seele der Mannschaft, den Verein verlässt und ausgerechnet zum FC Bayern München wechselt, löst lähmendes Entsetzen bei allen Schalker Fans aus. Betreuer Charly Neumann liest dem Schalker Jung’ wegen

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