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Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Mantel aufzuknöpfen. »Meine Güte, ist das heiß hier.«
    »Wann haben Sie Grace das letzte Mal in den Arm genommen? Oder sie geküsst?«
    »Im Ernst, es ist ja wie im Hochofen hier …«
    »Es ist nicht heiß.«
    »Verdammte Wechseljahre.«
    »Jude«, sagte Harriet mit aufreizender Geduld. »Sie weigern sich, Ihre Enkelin zu lieben.«
    »Nein«, widersprach Jude und sah endlich auf. »Ich kann sie nicht lieben. Das ist ein Unterschied. Ich habe es versucht. Glauben Sie wirklich, ich hätte es nicht versucht? Aber wenn ich sie ansehe, fühle ich … nichts.«
    »Das ist nicht wahr, Jude.«
    »Hören Sie«, seufzte Jude. »Mir ist schon klar, was Sie da machen. Dieses Spielchen spielen wir seit Jahren. Ich sage Ihnen, dass ich nichts fühlen kann, und Sie behaupten, ich wollte es nicht. Mein Hirn ist der Boss. Verstanden. Wirklich. Mein altes Ich hätte Ihnen das ganz sicher abgenommen.«
    »Und Ihr neues Ich?«
    »Mein neues Ich lebt. Das muss reichen. Ich breche nicht mehr in Tränen aus, wenn ich etwas Pinkfarbenes sehe. Ich kann ohne zu weinen Auto fahren, und ich kann meinen Sohn ansehen, ohne wütend zu werden. Manchmal kann ich ihm sogar in die Augen schauen, ohne an Mia zu denken. Ich kann meine Enkelin vom Kindergarten abholen, sie baden und zu Bett bringen, ohne zu weinen. Sie wissen doch, was für ein Fortschritt das ist. Also könnten wir vielleicht nur dieses eine Mal den nächsten Schritt vergessen und mich durch diesen Tag bringen?«
    »Wir könnten über Mia sprechen.«
    »Nein«, sagte Jude mit scharfer Stimme. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, dass der Schmerz dadurch nur noch schlimmer wurde.
    »Sie müssen über sie sprechen. Sie müssen sich an sie erinnern und trauern.«
    »Ich tue nichts anderes, als zu trauern.«
    »Nein. Ihre Trauer ist wie eine abgeklemmte Arterie. Wenn Sie die Klammer nicht lösen und es wieder fließen lassen, werden Sie niemals gesund werden.«
    »Dann werde ich eben nicht mehr gesund«, erwiderte Jude müde und lehnte sich zurück. »Hab ich auch nicht erwartet. Wie wär’s, wenn wir über Miles sprechen? Letzte Woche haben wir miteinander geschlafen. Ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?«
    Harriet seufzte und notierte sich wieder etwas. »Ja, Jude. Das ist ein gutes Zeichen.«
    Jeden Tag nach der Vorschule ging Grace zur Silly-Bear-Tagesstätte, bis Daddy von seiner Erwachsenenschule kam.
    An guten Tagen wie heute gingen sie nach draußen spielen, aber wegen Mrs Skitter mussten sie die Strecke bis zum Strand ein kratziges gelbes Seil festhalten. Wie die Babys.
    Wie üblich ging Grace ganz vorn, direkt hinter der Betreuerin. Sie hörte die anderen Kinder lachen, reden und herumalbern. Sie beteiligte sich nicht daran; sie folgte nur der Betreuerin und starrte auf ihren dicken, kissenartigen Hintern.
    Am Strand mussten sich alle zehn Kinder in einem Kreis um Mrs Skitter herum aufstellen. »Ihr kennt die Regeln. Nicht ins Wasser gehen. Nicht streiten. Heute spielen wir Himmel und Hölle im Sand. Wer hilft mir bei den Kästchen?«
    Hände fuhren in die Höhe, Kinder kreischten: »Ich, ich, ich« und hüpften unruhig herum. Das erinnerte Grace an die kleinen Vögel, die sie mit Dad im Zoo gesehen hatte. Tschilp, tschilp.
    Sie ging zu ihrer üblichen Stelle. Alle wussten, dass sie hier am liebsten war. Sie setzte sich, weit von den Wellen entfernt, auf einen Baumstamm. Manchmal, wenn sie Glück hatte, sah sie einen Krebs oder einen Sanddollar. Aber meistens redete sie nur mit ihrer besten Freundin.
    Sie starrte auf das rosafarbene Band, das sie am Handgelenk trug. Dort, wo früher ihre Minnie-Mouse-Uhr gewesen war, hatte ihr Daddy einen runden Spiegel angebracht, etwa so groß wie ihre Handfläche. Es war das beste Geschenk, das sie je bekommen hatte. Denn damit war es ihr möglich geworden, ihr Zimmer zu verlassen. Bevor sie den Handspiegel bekam, hatte sie stundenlang vor ihrem Spiegel gestanden, um mit ihrer Freundin Ariel zu reden, die Prinzessin auf einem anderen Planeten war.
    Grace war nicht dumm, sie wusste genau, dass ein paar der anderen Kinder sie wegen ihrer unsichtbaren Freundin auslachten, aber das war ihr egal. Die Kinder in ihrer Gruppe waren sowieso blöd.
    Keiner von ihnen wusste, wie still es auf diesem Planeten sein konnte, deshalb konnten sie nicht so zuhören wie sie. Sie war es gewohnt, still zu sein. Im Haus ihrer Großeltern war es manchmal wie in einer Bibliothek.
    Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Das hatte sie schon ihr ganzes Leben gespürt,

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