Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition)

Titel: Wie Blüten im Wind: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
Vom Netzwerk:
der Vorschule gilt. Verstanden?«
    »Was ist ein Schlupfloch? Ein Spiel?«
    »Gracie?«
    »Ist gut. Sagst du’s Daddy?«
    »Das muss ich.«
    Da bereute Gracie zum ersten Mal wirklich, was sie getan hatte. Jetzt würde ihr Daddy sie wieder enttäuscht ansehen, und sie würde Angst kriegen und sich an ihn klammern, damit er sie nicht allein ließ. Sie hatte doch keine Mommy. Was sollte sie ohne Daddy machen?

N EUNZEHN
    »Angst? Wieso hast du Angst?«
    Lexi lehnte sich gegen die Betonwand ihrer Zelle. Nach einundsiebzigeinhalb Monaten Haft würde sie endlich freikommen. Sie hatte ihre gesamte Strafe verbüßt – plus einiger Monate wegen ein paar Dummheiten –, also gab es weder Straferlass noch Bewährung für sie. Zwar würde ihr ein staatlicher Anwalt beim »Übergang« helfen, aber Tatsache war, dass sie in ein paar Minuten wieder eine freie Bürgerin sein würde und gehen konnte, wohin sie wollte. Sie wusste nur, dass sie zu Eva nach Florida ziehen würde. Aber abgesehen davon, erstreckte sich ihr Leben vor ihr wie ein Wüstenhighway ohne Kurven und Ausfahrten.
    Seltsamerweise war ihr beklommen zumute, nun, da der große Tag endlich da war. Diese drei Quadratmeter große Zelle war ihr Zuhause geworden, hier fühlte sie sich sicher. Vom Bett zur Toilette waren es acht Schritte; vom Waschbecken zur Wand zwei; drei vom Bett zur Tür. Die Wände waren übersät mit Tamicas Fotos: Bilder von Menschen, die auch für Lexi wie eine Familie geworden waren. Ihre eigenen Bilder von Tante Eva, Zach und Mia hatte sie vor Jahren abgenommen, weil ihr Anblick zu schmerzhaft war. Es tat einfach zu weh zurückzublicken, außerdem war es Zeitverschwendung. Sie würde Mias Lächeln auch ohne Fotos niemals vergessen.
    »Lexi?« Tamica senkte die Zeitschrift, die sie gerade las. »Was meinst du mit ›Du hast Angst‹?«
    »Hier drin weiß ich, wer ich bin.«
    »Du willst dich doch nicht an dem festhalten, was du hier drinnen geworden bist, hermana . Du doch nicht! Du hast doch noch dein ganzes Leben vor dir.«
    Lexi blickte auf ihre Habseligkeiten. Am Fußende ihres Bettes lag der kleine Stapel ihrer kostbaren persönlichen Sachen, alles, was sie in den vergangenen Jahren aufbewahrt hatte: eine Schuhschachtel mit Briefen von Tante Eva und ihren Briefen an Grace; Jahrbuchfotos von Mia und Zach und das Foto von ihnen dreien beim Abschlussball; außerdem eine zerlesene Taschenbuchausgabe von Sturmhöhe. Jane Eyre las sie nicht mehr; was interessierte sie das Happy End einer anderen?
    In der Tür erschien eine Wärterin. »Es ist jetzt wirklich Zeit zu gehen, Baill.«
    Tamica stand langsam auf. In den vergangenen Jahren hatte Tamica im gleichen Maß zugelegt, wie Lexi abgenommen hatte. Zwar behauptete sie, die Menopause sei schuld, aber die Gefängniskost trug ein Übriges dazu bei.
    Lexi blickte in das traurige dunkle Gesicht der Frau, die sie hier gerettet hatte und ihre Freundin gewesen war, als sie dringend eine brauchte. Wenn Lexi noch hätte weinen können, wären ihr jetzt sicher die Tränen gekommen. »Du wirst mir fehlen«, sagte sie und schlang die Arme um Tamicas rundes, dick gepolstertes Kreuz.
    »Ich werde dir schreiben«, versprach sie.
    »Schick mir ein Foto von dir und Grace.«
    »Tamica … ich hab das Sorgerecht aufgegeben«, entgegnete sie. »Das weißt du doch.«
    Tamica packte sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. »Weißt du, was ich dafür geben würde, mit dir zusammen hier rauszukommen? Also wag es nicht einzuknicken. Du hast einen Fehler gemacht und dafür bezahlt. Basta.« Sie drückte Lexi noch einmal fest an sich. »Besuch deine Tochter wenigstens.«
    »Kommen Sie schon, Baill«, mahnte die Wärterin.
    Lexi löste sich von Tamica und ging zum Bett, um ihre Sachen zu holen. Eigentlich wollte sie einfach so normal wie möglich gehen, aber sie konnte es nicht. An der Tür musste sie sich noch einmal umdrehen.
    Tamica weinte. »Lass dich hier nie wieder blicken«, sagte sie, »sonst versohle ich dir deinen weißen Hintern.«
    »Nein, werde ich nicht«, versprach Lexi.
    Als sie mit ihrer erbärmlichen Schuhschachtel durchs Gefängnis ging, schrien die Frauen ihr nach. Sie wusste noch, wie diese Frauen sie am Anfang eingeschüchtert hatten. Aber jetzt war sie eine von ihnen, und sie wusste, ganz gleich, wie lange sie leben und wie sehr sie sich noch verändern würde, dass ein Teil von ihr immer hier hinter Gittern bleiben würde. Vielleicht war etwas in ihr immer schon hier gewesen. Ein mutterloses

Weitere Kostenlose Bücher