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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ahrens
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etwas wagen doch nur noch unterbelichtete Betriebskantinen anzubieten. Oder man kriegt es kännchenweise in betagten Ausflugslokalen zur Käsesahnetorte bzw. am Frühstücksbuffet drittklassiger Hotels aus dem Samowar. Als weltgewandter Gourmet, der » savoir vivre « fehlerfrei aussprechen kann, distanziert man sich jedenfalls davon und wendet sich seinem Espresso aus der Original-Bezzera-Maschine zu.
    Als Schuldige an diesem Geschmacksirrtum, der von Deutschland aus die halbe Welt buchstäblich infiltriert hat, gilt allgemein die Dresdnerin Amalie Auguste Melitta Bentz. Selbst in der englischsprachigen Wikipedia ist zu lesen: » On July 1908, the first paper coffee filter was created by a German housewife named Melitta Bentz. « Die Spanier schließen sich an: » El primer filtro de café fue inventado en 1908 por la empresaria Melitta Bentz « ,unddie französische Ausgabe spricht ebenfalls vonder » inventeuse Melitta Bentz « . Nur die italienischen Wikipedianer kennen lediglich einen 1909 entdeckten Asteroiden namens Melitta.
    Die seit mehr als hundert Jahren überlieferte Erfolgsstory dürfte den meisten Lesern bekannt sein: Weil das Kaffeetrinken bis dato wegen bitteren Nachgeschmacks und Kaffeesatz im Mund noch kein ungetrübter Genuss war, tüftelte die 35-jährige Hausfrau so lange mit einer alten Konservendose und Löschpapier herum, bis aus diesen Requisiten ein brauchbares Filtersystem entstanden war. Als bemerkenswert geschäftstüchtige Person begann Melitta Bentz ihre Erfindung sofort in klingende Münze zu verwandeln. Gemeinsam mit Ehemann Hugo und 73 Pfennig Startkapital meldete sie ein Gewerbe an und wurde so zur Begründerin eines Unternehmens, dessen Jahresumsatz heute über 1,2 Milliarden Euro beträgt.
    Stimmt so weit alles. Bis auf eine Kleinigkeit: Melitta Bentz hat den Kaffeefilter keineswegs erfunden– sie ist nur zur rechten Zeit auf die richtige Idee gestoßen, hat sie patentieren lassen und clever vermarktet. Überdies ist der viel zitierte, belächelte oder auch geschmähte Filterkaffee alles andere als eine typisch deutsche Marotte, und er ist auch wesentlich älter als die Melitta-Variante.
    Tatsächlich wird Kaffee schon seit Jahrhunderten und in vielen Ländern der Erde gefiltert; nur in der arabisch-islamischen Welt trinkt man quahwa oder kahve von alters her » naturtrüb « , also mit schwebendem Kaffeemehl im Glas. Womöglich liegt es daran, dass man sich hier geografisch und kulturell näher an der Urheimat des Kaffees befindet, die in der Region Kaffa (daher der Name) im südwestlichen Äthiopien vermutet wird. So wirkt denn auch die traditionelle äthiopische Zubereitungsart recht urtümlich: Die Bohnen werden stets in grünem Zustand gekauft, in einer Eisenpfanne frisch geröstet, danach grob gemahlen oder in einem Mörser zu Pulver zerstampft. Das Kaffeemehl wird anschließend mit Wasser und Zucker in einer Jabana (einem karaffenähnlichen Tonkrug) gekocht und in kleinen Schalen, » Sini « genannt, serviert.
    Tradition hin, Tradition her– mehlig-trüber Kaffee ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Also sannen mit dem Vordringen des afrikanischen Muntermachers nach Europa immer wieder Kaffeetrinker darüber nach, wie man das Mehl, aber nicht das Aroma aus dem Wasser fernhalten könnte. Der erste Versuch mit dauerhaftem Erfolg gelang dann nicht etwa in Deutschland, sondern in Frankreich. Dort behagte es dem Pariser Erzbischof Jean Baptiste de Belloy (1709 –1808) ebenfalls nicht, dass Schwebeteilchen und Bitterstoffe ihm den Kaffeegenuss vergällten. Woraufhin er höchstpersönlich eine Filterkanne entwickelte, die in seinem Heimatland zum Teil noch heute gebräuchlich ist. Die sogenannte De-Belloy-Kanne hat mehrere Etagen: Oben auf der eigentlichen Kanne befinden sich eine Filterkammer mit Stempel zum Festdrücken des Kaffeemehls sowie ein Wasserverteiler. Das kochende Wasser wird– ganz ähnlich wie beim Melitta-Filter– auf das Kaffeemehl gegossen und tropft dank Wasserverteiler und Filtersieb als klare braune Flüssigkeit in die Kanne. Ein Stöpsel im Ausguss verhindert dabei, dass das Wasser zu schnell durch das Kaffeemehl fließt.
    De Belloy meldete die Vorrichtung nie zum Patent an, aber dennoch ist seine Erfindung das erste kontrollierte Filtersystem in der Geschichte des Kaffees. Andere Methoden jener Zeit muten eher improvisiert an, aber immerhin – es gab sie. Der Berliner Naturwissenschaftler Johann Georg Krünitz widmet der Technik des Kaffeefilterns in

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