Wie deutsch ist das denn?!
Deutschland noch nicht gab. Aber selbst im Deutschen Kaiserreich ging man mit dem Thema noch ziemlich lax um und bediente sich bequem verfügbarer ausländischer Quellen: Das berühmte » Heil dir im Siegerkranz « ist nichts anderes als die Umdichtung eines Liedes, das der Flensburger Pfarrer Heinrich Harries 1790 zu Ehren des dänischen Königs Christian VII . verfasst hatte (Flensburg gehörte damals zu Dänemark). Die Melodie wiederum entstammt dem 1745 entstandenen britischen » God Save the King « (heute » the Queen « ), das zu Beginn des 19. Jahrhunderts offizielle Nationalhymne des Vereinigten Königreichs wurde. 1793 modelte der Dichter Gerhard Balthasar Schumacher den Harries-Text dann auf den deutsch-römischen Kaiser um, sodass er später auch auf die beiden Wilhelms passte.
Übrigens diente die gleiche Melodie auch anderen Nationen als musikalisches Aushängeschild. Bis zum heutigen Tag hat sie sich im Fürstentum Liechtenstein erhalten ( » Oben am jungen Rhein « ); außerdem basiert auf ihr der Vorgänger der heutigen Bayernhymne » (Heil unserem König, Heil « ), die frühere Schweizer Nationalhymne ( » Rufst du, mein Vaterland « ) und die russische Hymne » Molitwa Russkich « aus der Zarenzeit, die mit der Zeile beginnt: » Bosche, Zarja chrani! « ( » Gott schütze den Zaren! « ). Bemerkenswert daran ist, dass mit Ausnahme der Schweizer und Liechtensteiner Version nicht das Land besungen wird, sondern der jeweilige Monarch. Und selbst Liechtenstein bedenkt seinen Regenten zumindest in der zweiten Strophe: » Hoch leb’ der Fürst vom Land « .
Von daher überrascht es kaum, dass auch das heutige Deutschlandlied zunächst als Huldigung an einen Herrscher gedacht war. Und ebenso wie » Heil dir im Siegerkranz « bedient es sich einer importierten Melodie: Die Noten stammen von dem Österreicher Joseph Haydn, der sie als » Kaiserlied « zu Ehren von Franz II . komponierte. Allerdings machte sich auch Haydn nicht die Mühe einer eigenen Idee– vielmehr ließ er sich von dem kroatischen Volkslied » Vjutro rano se ja stanem « inspirieren, dessen erste vierzehn Töne er unverändert übernahm und ihnen drei weitere hinzufügte. Zur Erinnerung: Große Teile Kroatiens, inzwischen jüngstes Mitglied der EU , gehörten damals zur Donaumonarchie.
Und so liest sich die Urfassung des späteren Deutschlandliedes in der Originalsprache:
Vjutro rano se ja stanem, malo pred zorom.
(Früh am Morgen stehe ich auf, kurz vor dem Morgenrot.)
Es kann auch gar nicht früh genug sein, denn die nun beginnende Irrfahrt durch die Geschichte dauert fast zwei Jahrhunderte. Es ist der Wiener Universitätsbibliothekar Lorenz Leopold Haschka (1749 – 1827), der die volkstümlichen Zeilen vom Balkan erstmals in eine deutsche Hymne verwandelt. Anlässlich des 29. Geburtstags von Franz II . am 12. Februar 1797 erlebt das recycelte Lied in der Haschka-Haydn-Version seine Uraufführung im Wiener Burgtheater, feierlich abgenommen von Seiner Majestät höchstselbst. Der Text der ersten Strophe:
Gott erhalte Franz, den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Lange lebe Franz, der Kaiser,
In des Glückes hellstem Glanz!
Ihm erblühen Lorbeerreiser,
Wo er geht, zum Ehrenkranz!
Gott erhalte Franz, den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Bis daraus » Deutschland, Deutschland über alles « wird, stehen dem Lied allerdings noch eine ganze Reihe weiterer Metamorphosen bevor. Eine kleine Chronologie der Ereignisse in den nun folgenden Zeitläuften:
Knapp drei Jahrzehnte nach der Uraufführung, am 1. Oktober 1826, wird das Kaiserlied aufgrund » Allerhöchster Entschließung « zur österreichischen Nationalhymne erklärt und offiziell ins Hofprotokoll aufgenommen. Als Text dient jedoch nicht die Originalfassung, sondern eine leicht abgewandelte Version, deren Verfasser heute nicht mehr bekannt ist. In dieser Form besteht die Hymne bis 1835 fort:
Gott erhalte Franz den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Hoch als Herrscher, hoch als Weiser
Steht er in des Ruhmes Glanz.
Liebe windet Lorbeerreiser
Ihm zu ewig grünem Kranz.
Gott erhalte Franz den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!
Für Kaiser Ferdinand I., den Nachfolger von Franz II ., wird der Text ein weiteres Mal umgebaut. Nicht weniger als vierzehn Entwürfe bewerben sich anlässlich der Thronbesteigung im März 1835 um die Ehre, die göttliche Erhaltung des neuen Monarchen beschwören zu dürfen. Den Sieg im Austrian Song Contest erringt schließlich die
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