Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
verboten hat. Seine Länderkollegen sprachen schon bei einer weit geringeren Häufung von schweren Straftaten umfangreiche Verbote aus. Das zögerliche Verhalten der Berliner Politik- und Polizeiführung ist objektiv nicht zu erklären.
10. Kapitel
2010, die Ereignisse überschlagen sich
Der Hells Angels Motorcycle Club war in Norddeutschland seit der Gründung der Charter North End am 13. April 1990 (knapp 30 Kilometer nördlich von Hamburg) und Kiel am 17. September 1994 die absolute Nummer 1 in Schleswig-Holstein. Diese, nach Stuttgart und Berlin, dritt- und viertältesten Charter Deutschlands untermauerten den unangefochtenen Machtanspruch der Hells Angels beinahe zwei Dekaden lang. Am 6. Juni 2008 wurde außerdem ein Charter in Flensburg gegründet, am 16. Januar 2010 eines in der Hansestadt Lübeck.
Doch zu dieser Zeit, rund zehn Jahre nach der Jahrtausendwende, ließ sich der Bandidos MC von der Dominanz der Höllenengel nicht mehr abschrecken. Dank seiner aggressiven Mitgliederrekrutierung wuchs und expandierte er stetig selbst. Die Gründung neuer Chapter und Supporter-Clubs (allein drei Chapter des Chicanos MC in Kiel, Rendsburg und Neumünster) im hohen Norden forderte die Hells Angels heraus und eröffnete eine weitere Frontlinie im deutschlandweiten Krieg beider Clubs.
Der Rockerkrieg verlagerte sich nun auf die Autobahn, exakter formuliert auf die A7. Dort rammte Stefan R., 36 und Präsident des Hells Angels MC Flensburg, am 12. September 2009 mit seinem Audi A8 ein 24-jähriges Mitglied des Bandidos MC, das auf seinem Motorrad unterwegs war. Da der Rocker Thomas K. bei der ersten Attacke der schweren Limousine nicht stürzte, folgte ein zweiter Angriff. Hierbei erlitt der Bandido lebensgefährliche Verletzungen. Nach einem langen stationären Genesungsprozess leidet Thomas K. noch heute an einem ärztlich attestierten Drop-Arm-Syndrom, einer Quasilähmung seines linken Armes.
Die Staatsanwaltschaft Flensburg verhängte im Januar 2010 Untersuchungshaft gegen Stefan R. wegen versuchten Totschlags und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Die Justizbehörde berief sich bei der Anklageerhebung auf umfangreiche kriminalistische Ermittlungsergebnisse und eine eindeutige Identifizierung des Wagens als Tatfahrzeug.
Das Urteil gegen Stefan R. wurde im April 2011 gesprochen. Das Landgericht Flensburg verhängte eine vierjährige Haftstrafe. Der Vorsitzende Richter sah eine Tötungsabsicht vor Gericht als nicht bewiesen an, obwohl der Angeklagte »die Absicht hatte, die Bandidos und das Opfer zu maßregeln«. Strafverschärfend wertete das Landgericht die vielen einschlägigen Vorstrafen von Stefan R. und den Umstand, dass der Angeklagte zur Tatzeit noch unter Bewährung stand.
Mit dieser Tat und dem Urteil sollte auch das Ende des Hells-Angels-Chapters Flensburg besiegelt sein, was damals aber noch niemand ahnte.
Wie hochgerüstet die Mitglieder der verfeindeten Clubs mittlerweile waren und auf welche Waffenarsenale sie zurückgreifen konnten, wurde kurz nach der Autobahnattacke erschreckend deutlich.
Im November 2009 stießen Polizeieinheiten in einer Flensburger Kfz-Werkstatt auf das bis damals größte Waffendepot, welches das Landeskriminalamt der Rockerszene jemals zugerechnet hatte: Maschinenpistolen, Pumpguns, Schrotflinten, Revolver, Munition und sprengstoffähnliche Substanzen. Der Inhaber der Werkstatt wurde vorläufig festgenommen und war dem LKA Schleswig-Holstein als Waffenlieferant für die Höllenengel bekannt. Diese Erkenntnis wurde auch dadurch belegt, dass Kriminaltechniker in dem Waffenlager die DNA-Spuren und Fingerabdrücke mehrerer Flensburger Angels sicherten. Eine Erklärung, wozu ein Zusammenschluss von Männern, der vorgibt, ein Motorradclub zu sein, sich ein derartiges Waffenarsenal zulegt, blieb der Club schuldig.
Der Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität des LKA in Kiel, Detlev Zawadzki, beschrieb die Waffen als einsatzbereit und mengenmäßig ausreichend, um jederzeit in einen Krieg ziehen zu können. Und genau das passierte jetzt in immer kürzeren Abständen.
Zunächst reichten jedoch Klingen: Im März 2010 griffen unbekannte Täter den 21-jährigen Sohn eines Bandidos-Prospects an. Als dieser in Kiel ein Fitnessstudio verließ, wurde er auf offener Straße durch mehrere Messerstiche schwer verletzt. Seinem 20 Jahre alten Begleiter fügten die Angreifer weitere, wenn auch leichtere Verletzungen zu. Vor dem Krankenhaus rottete sich eine Gruppe von
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