Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
zu werden. Dieser Ursprungsgedanke und der lieb gewonnene Easy-Rider-Mythos der ersten amerikanischen Hells Angels schien Deutschland endgültig verlassen zu haben. Auch wenn es solche Motorradromantiker unter den deutschen Brüdern noch gab und gibt – genauso wie natürlich nicht jeder Hells Angel zwangsläufig kriminell ist –, müssen sie sich doch folgende Fragen gefallen lassen: Wo waren sie, als ihre Clubs immer kriminellere Mitglieder aufnahmen? Warum haben sie nicht ihre Stimme erhoben und sich darüber beschwert, dass diese Mitglieder den Vereinsnamen zur persönlichen Bereicherung im Rotlichtmilieu benutzten? Es sind weder interne Diskussionen darüber bekannt, noch wurden größere Austrittszahlen von Mitgliedern publik, die derart ihre Ablehnung bekundet hätten. Und niemand konnte mehr die Augen davor verschließen, wo die Reise jetzt hinging. Die geschäftlichen Hardliner hatten sich schon Jahre zuvor im Club durchgesetzt. Mitgehangen – mitgefangen, diese Redensart scheint die augenblickliche Situation in den großen Clubs trefflich widerzuspiegeln.
Die Folgen der beschriebenen Gewalttaten müssen nicht nur die direkt Betroffenen ausbaden. Das Prinzip »One for all – all for one« verbindet deren Schicksal untrennbar mit dem ihres jeweiligen Clubs. Um ihr Gesicht, ihre Ehre und den Respekt in dieser Subkultur nicht zu verlieren, waren die Clubs regelrecht verpflichtet, immer wieder Rache zu nehmen, egal wie sie zu Gewaltaktionen des Einzelnen stehen mochten. Das löste wiederum die Kettenreaktion einer nie enden wollenden Gewaltspirale aus: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Geister, die sie riefen, wurden die mächtigsten deutschen Clubs nicht mehr los.
Zwei Wochen nach der Beerdigung Eschlis, in der Samstagnacht des 31. Oktobers 2009, löste der von Timur angezettelte Konflikt eine aus polizeilicher Sicht nicht vorstellbare Eskalation der Gewalt im gesamten Ruhrgebiet aus. Die Polizeibehörden des größten Ballungsraumes Deutschlands wurden von der entfesselten Rockergewalt schlichtweg überrollt.
Nach dem Ende der Trauerzeit sammelten sich an diesem letzten Oktoberabend des Jahres bis zu 40 Bandidos in ihrem Stammlokal, dem »Fat Mexican« an der Charlottenstraße in Duisburg. Gegen 21.10 Uhr setzte sich das Vergeltungskommando in Marsch. Sein Ziel war ein Eros Center in der Julius-Leber-Straße, nur wenige Hundert Meter entfernt. Das Laufhaus sollte von den Hells Angels übernommen worden sein, die so ihre Rotlichtgeschäfte auf Duisburg ausweiteten. Eine nicht zu duldende Provokation, die den Mord an Eschli noch schlimmer erscheinen ließ. Schließlich reklamierte der Bandidos MC das gesamte Ruhrgebiet als sein Territorium.
Doch die Hells Angels hatten Wind von dem bevorstehenden Angriff bekommen. Noch auf der Charlottenstraße stellte sich dem Mob der Bandidos ein 50 Mann starker Trupp Höllenengel, bewaffnet mit Schlagstöcken, entgegen. Später war zu erfahren, dass zufällig zur selben Zeit in nur 70 Kilometer Entfernung in Köln eine Party der Angels stattfand. Diese Rocker wurden schnellstens nach Duisburg gefahren, um dort die Geschäftsinteressen der rot-weißen Bruderschaft handfest zu verteidigen.
Die Bandidos griffen an und es entwickelte sich eine brutale Massenschlägerei, aus der die Hells Angels als Sieger hervorgingen. Sie setzten nun den zurückgedrängten Gegnern bis in den »Fat Mexican« nach, stürmten das Lokal des verhassten Feindes, griffen die dortigen Gäste und Bandidos an und zertrümmerten mit ihren Schlagstöcken die Fensterscheiben und Teile der Inneneinrichtung. Viele Hells Angels sollen bei dem Sturm auf das Lokal auch schwere Verletzungen erlitten haben. Ein Bandido berichtet darüber in einem Onlineportal: »Dieser Überfall ging voll in die Hose. Viele Angler wurden verletzt, aber sie fuhren mit ihren Wunden nicht in die Klinik. In der ersten Etage lagen Steine an jedem Fenster. Als die Angler den Laden stürmten, wurden von oben die Steine geschmissen, wie früher bei einer Belagerung.«
Die Polizei war zum Objektschutz nur mit zwei Streifenwagen vor Ort erschienen und konnte die Auseinandersetzung von bis zu 100 aufeinander einprügelnden Rockern nur als teilnahmsloser Zuschauer begleiten. Eilig hinzubeorderte Polizeieinheiten kamen zu spät. Die Höllenengel verschwanden in Kleinbussen so unbemerkt, wie sie gekommen waren. Allen gelang die Flucht, kein einziger Rocker wurde nach dieser Massenschlägerei verhaftet. Auch erstattete niemand eine
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