Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
Anzeige und kein Mensch machte eine Aussage. Kein Verletzter suchte ein Krankenhaus auf. Die mächtigsten Clubs der Welt regelten ihre Angelegenheiten wieder einmal untereinander.
Und die Nacht war noch nicht vorüber.
Die Antwort des Bandidos MC ließ nicht lange auf sich warten. Vom »Angels Place« in Solingen, 50 Kilometer vom Duisburger Rotlichtviertel entfernt, hatte die Polizei erst vor wenigen Tagen schwer bewaffnete Polizeikräfte abgezogen, die diesen Treffpunkt überwacht hatten, da dort der Todesschütze Timur A. Mitglied war und ist. Die überlastete Polizei des Ruhrgebietes, deren Beamte Hunderte Überstunden vor sich her schoben, war nicht in der Lage, die Stellung länger zu halten.
Der Präsident des Hells Angels MC Midland berichtete später, dass gegen 1.50 Uhr ein Kleinwagen angerast kam, aus dem zwei unmaskierte Männer sprangen, die sechsmal mit einer Pistole feuerten und eine Handgranate durch ein offenes Fenster im Obergeschoss warfen. Die Handgranate explodierte jedoch nicht. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Im Obergeschoss des »Angels Place« sollten nach Angaben der Polizei Hells Angels mit ihren Familien wohnen, darunter der Präsident des Charters mit seinem dreijährigen Sohn, der aber in der Tatnacht nicht zu Hause schlief. Direkt nach den Todesschüssen von Duisburg habe er, so der Hells-Angels-Präsident, mehrfach Morddrohungen erhalten.
Knapp ein Jahr später, kurz nach einem öffentlich inszenierten Friedensschluss, räumten die Hells Angels Midland ihr Domizil. Ob dieser Rückzug aus der Nähe einer Bandidos-Bastion Teil einer geheimen Absprache zwischen Präsidenten beider Clubs war, ist nicht bekannt. Es würde jedoch in das weltweite Vorgehensprofil passen. Das Charter Midland verlagerte sein Clubhaus ins zehn Kilometer entfernte Langenfeld, wo man, wie zuvor, in die Räumlichkeiten einer ehemaligen Gaststätte zog, die »Gypsy-Klause«.
Die Hells Angels im Ruhrgebiet benötigten nur wenige Stunden, um auf den nächtlichen Schusswaffen- und Handgranatenangriff zu reagieren. Sie wählten das keine 20 Kilometer vom Duisburger »Fat Mexican« entfernte Clubhaus des Bandidos MC Essen im Stadtteil Borbeck aus. Unbekannte Täter beschossen das Vereinsheim. Mehrere Projektile durchschlugen die Fensterscheiben des Gebäudes, jedoch ohne jemanden zu verletzen, da sich zum Tatzeitpunkt niemand in dem Haus befand.
Das Innenministerium NRW erweiterte nach dieser ereignisreichen Nacht die Soko »Rockerkriminalität« im Ruhrgebiet, die beim Polizeipräsidium Münster zentral angesiedelt wurde und bis heute sämtliche Daten bezüglich aller OMCGs, die in Nordrhein-Westfalen operieren, sammelt, auswertet und archiviert. Die Soko war bereits zwei Jahre zuvor ins Leben gerufen worden, nach dem Mord an dem Hells Angel Robert K. durch den Bandido Heino B. in Ibbenbüren.
Der angebliche Friedensschluss von Hannover
Die Titelseiten von Zeitungen und Magazinen berichteten schon seit Ende 2009 plakativ und zum Teil sensationslüstern über den in Deutschland tobenden Rockerkrieg zwischen den Hells Angels und den Bandidos. Morde – Hinrichtungen, gleich ausgeführt –, Autobomben, Handgranaten, Schusswaffenanschläge, Messerattacken und brutale Massenschlägereien auf den Straßen der Republik wurden bis ins Detail ausgeschlachtet. Kämpfe um Anteile im Rotlichtmilieu, bei der Prostitution und beim Drogen-, Waffen- und Menschenhandel lieferten brisanten Stoff für unzählige Artikel, Reportagen und Dokumentationen.
Die Presse und eine besorgte Öffentlichkeit setzten Polizei und Politik immer stärker unter Druck, entschiedener gegen diese relativ neue Art der Rockerkriminalität vorzugehen. Der juristische Gegenwind durch den öffentlich aufgebauten Druck blies immer rauer in der Welt der Outlawbiker. Razzien in Vereinshäusern und privaten Wohnungen nahmen genauso zu wie Anklagen gegen Mitglieder beider Clubs und daraufhin verhängte Haftstrafen. Am 26. Mai 2010, nur einen Tag vor der in Hamburg halbjährlich stattfindenden Innenministerkonferenz aller 16 Bundesländer zuzüglich des Bundesinnenministers, luden Hells Angels und Bandidos die Journalisten der ganzen Republik zu einer Pressekonferenz nach Hannover.
In den repräsentativen Kanzleiräumen Götz von F.s, in einer weißen Villa an der feinen Adenauerallee gelegen – bis zum 1. September 2009 war Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder dieser Kanzlei in einer Bürogemeinschaft verbunden –, hielten der
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