Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
Kampfsportprofi Timo ausgespannt hatte.
Die Beerdigung fand am 18. Oktober 2009 statt und wurde unter großer Anteilnahme der Bandido Nation abgehalten. Über 1500 Rocker, Freunde und Angehörige aus ganz Europa versammelten sich auf dem Friedhof in Gelsenkirchen. Rund 400 Bandidos fuhren mit ihren Harleys und 100 Pkws in einem riesigen Konvoi die knapp 30 Kilometer von Duisburg nach Gelsenkirchen. Unter den Trauergästen war auch eine 250 Mann starke Abordnung von Eschlis ehemaligen Kampfgefährten aus der Gelsen-Szene samt einem schwarzen Banner, das den Namen ihrer Gruppierung trug. Die Trauerfeier wurde wegen des großen Andrangs ins Freie übertragen. Während einige Rocker mit den Tränen kämpften, schallte ein Lied der Böhsen Onkelz über den Friedhof: »Nur die Besten sterben jung«. Die Bilder der Beerdigung von »Eschli 1%« wurden als Kurzfilm zusammengeschnitten, mit Musik unterlegt und stehen auf YouTube.
Der Großeinsatz der Polizei zum Schutz der Beerdigung und der Trauergäste vor Vergeltungsaktionen wurde auf große Teile NRWs ausgeweitet und kostete den Steuerzahler 600 000 Euro. Aber wie auf dem gesamten Globus üblich, herrschte am Beerdigungstag absolute Ruhe. Die Biker trauerten friedlich um ihren ermordeten Bruder. Für Rache und blutige Vergeltungsaktionen sollten sich in den nächsten Tagen noch genügend Gelegenheiten ergeben.
Einen Tag nach der Tat stellte sich der Todesschütze Timur A. der Polizei und wurde bis zum Prozess in Untersuchungshaft genommen. Am 30. August 2010 verkündete das Duisburger Schwurgericht sein Urteil gegen den Solinger Hells Angel: elf Jahre Haft wegen Totschlags. Den fünfmonatigen Gerichtsmarathon verfolgte der Todesschütze meist mit versteinerter Miene und in T-Shirts des Charters Hannover gekleidet, die den Blick auf den Schriftzug »Hells Angels«, der auf seinen Unterarmen prangte, und den Deathhead freigaben. Seine letzten Worte, bevor ihn die Justizbeamten aus dem Saal in die Haftanstalt führten, richtete er an die Brüder im Gerichtssaal: »AFFA«, das Glaubensbekenntnis der Höllenengel in Kurzform. Es steht für »Angels Forever – Forever Angels«.
Zur Zeit des Verhandlungsmarathons und des Urteilspruchs machte sich anscheinend noch niemand in der Führungshierarchie der Hells Angels darüber Gedanken, wie dem Club als Ganzem die moralische und wahrscheinlich auch finanzielle Unterstützung des Todesschützen ausgelegt werden könnte. Dazu gehörte auch die rege Teilnahme von Clubmitgliedern an allen Verhandlungstagen, jeweils in voller Clubmontur. Mit einschlägigen Kutten, Sweat- und T-Shirts bekleidet, saßen die muskulösen Biker auf den Besucherbänken im Gerichtssaal. Der Hells Angels MC distanzierte sich öffentlich weder von der Tat noch vom Täter. Ein solcher Schritt wäre auch mit dem Ehrbegriff der Rocker, die ihre Clubmitglieder als Brüder bezeichnen und den Club als Ganzes als ihre Familie ansehen, schwerlich in Einklang zu bringen gewesen. Diesen Ehr- und Familienbegriff werten die ersten deutschen Gerichte mittlerweile gar nicht mehr positiv für die Hells Angels. Ganz im Gegenteil. Erste Rechtspositionen sprechen angesichts dieses Verhaltens von Strukturen krimineller Vereinigungen und der Möglichkeit, hierdurch die Zugehörigkeit zur organisierten Kriminalität belegen zu können. So formulierte es etwa der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Januar 2012. Anlässlich der juristischen Überprüfung eines Charter-Verbots legte das Gericht dem Verein als Ganzem diese Verfahrensweise zur Last und begründete auch damit die Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung. Das Gericht sprach in einem ähnlichen Fall von einer Solidarisierung des Hells Angels MC mit Tat und Täter, sodass die Einzeltat eines Mitgliedes dem Club als Ganzem angelastet werden kann.
Der Werdegang Eschlis wie auch der Timos zeigt einmal mehr das veränderte Rekrutierungsverhalten von Hells Angels und Bandidos in den letzten Jahren. Die neuen Mitglieder hatten ihre Wurzeln mehrheitlich nicht mehr in der Bikerszene. Männer aus dem professionellen Kampfsport, kriminelle Migranten und Mitglieder gewalttätiger Hooligan-Gruppierungen bildeten nun das Reservoir, aus dem die Männer fürs Grobe stammten, die einzig zur Durchsetzung von Machtansprüchen in den Rotlichtmilieus deutscher Großstädte rekrutiert wurden.
Eine besondere Affinität zum Motorradfahren schien schon lange keine Voraussetzung mehr zu sein, um ein deutscher Hells Angel oder Bandido
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