Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten (German Edition)
europäische Jahrzehnt in die Hells-Angels-Historie einkehren, täuschte sich. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts rauschte eine noch größere, nicht für möglich gehaltene Expansionswelle der Big Red Machine durch Europa und dort insbesondere durch Deutschland. Die vormals eher regional geprägte Clublandschaft litt unter dieser aggressiven Expansionspolitik am schwersten und wurde von einer rot-weißen Lawine überrollt, begraben und schließlich komplett neu geordnet. Kleinere, regional vertretene Clubs mit einem oder zwei Chaptern wurden übernommen oder zur Aufgabe gezwungen. So verfügte der Hells Angels MC Germany keine zehn Jahre später über 48 Charter in Deutschland.
Wie würden die Höllenengel mit dieser Machtfülle umgehen? Würden sie es bei ihrem Status als wichtigster und mächtigster Club in der Bikerwelt belassen oder würden sie ihre Autorität auf zerstörerische Weise einsetzen? Würden die Hells Angels den erstbesten Vorfall zum Anlass nehmen, um gewaltsam gegen Konkurrenten in Deutschland vorzugehen?
Auch die anderen bedeutenden Einprozenter der Welt, der Bandidos MC und der Outlaws MC, gaben sich nicht mit dem Status quo in Deutschland zufrieden und erlebten eine nicht für möglich gehaltene Ausbreitungswelle in der Republik.
Verschärft wurde die Situation zusätzlich durch eine deutsche Besonderheit, den Gremium MC. Dieser 1972 in Mannheim gegründete Club, der besonders im Südwesten des Landes stark vertreten war, schloss sich keiner der global agierenden Bruderschaften an, sondern wählte den beschwerlichen Weg der kompletten Eigenständigkeit. Selbst nach dem Eintritt der ehemals autarken deutschen Clubs Bones und Ghostrider’s in die internationale Szene bewahrte der Gremium MC seine Unabhängigkeit. Im Jahr 2012 verfügt er über 72 deutsche Voll- und sechs Prospect-Chapter und zusätzliche 68 Auslands-Chapter, wobei der Fokus dort auf Polen, Italien und Spanien liegt.
Vier große Clubs in Deutschland, die die Polizeibehörden sämtlich den Outlaw Motorcycle Gangs (OMCGs) zurechnen, verlangten alle nach ihrem Anteil an der zu verteilenden Beute und nach Beachtung der in der Bikerwelt propagierten Begrifflichkeiten Respekt und Ehre.
In Deutschland standen alle Zeichen auf Krieg.
Die Hamburger Höllenengel verhielten sich seit dem Verbot ruhiger und geschickter. Sie vermieden unbotmäßige Publicity und kontraproduktive mediale Inszenierungen. Sie organisierten sich neu und blieben im Hintergrund. Bald erhielten sie Unterstützung von den benachbarten Brüdern aus Hannover, die unter Führung ihres Präsidenten Frank Hanebuth nach mehr Macht und Geld strebten. Nachdem die niedersächsischen Rocker das hannoversche Rotlichtviertel Steintor übernommen hatten, galt ihr zweiter Griff dem größten und sicherlich profitabelsten Rotlichtviertel Deutschlands, dem Hamburger Kiez. Ein folgenreicher Entschluss.
Es gelang dieser Gruppe, sich in mehreren Laufhäusern festzusetzen und hohe Profite aus der Prostitution zu erwirtschaften. Doch dann unterlief »Strähnchen-Matthias« der klassische Zuhälterfehler: Er verprügelte eine Prostituierte und verletzte sie schwer. Die Frau wandte sich an die Polizei und packte aus. Auch Karin S., 42, Kellnerin und Freundin des Hells Angels Norbert »Schlachter« S., 34, wählte am Ende eines dreijährigen Martyriums diesen Ausweg. Das Leid begann, als sie sich im Sommer 1997 in Norbert S. verliebte. Später berichtete sie den Behörden von Drogengeschäften im Kilobereich mit Kokain, Amphetamin und Haschisch, die ihr Freund mit dem Hamburger Sergeant at Arms der Höllenengel, Holger »Holli« L., 40, getätigt haben soll. Dies bedeutete für den Schlachter einen monatlichen Umsatz von 50 000 bis 90 000 Mark. Damit hatte Karin S. kein Problem, allerdings bald schon mit den Drogen selbst. Karin und Norbert griffen selber immer häufiger zu Kokain, wobei Norbert auch Crack konsumiert haben soll.
Karin akzeptierte den Drogenhandel, der sie ja auch selbst versorgte. Dass Norbert sie mit seiner Exfreundin betrog und dass er an der Vergewaltigung einer Frau beteiligt war, der anschließend gewaltsam ein Schmetterling auf den Hintern tätowiert wurde, nahm sie auch noch hin. Im Szene-Jargon wird dieses Gefügigmachen von Frauen, um sie anschließend auf den Strich zu schicken, »einreiten« genannt. Auch das war noch kein Trennungsgrund für Karin.
Doch ein Mensch hält nur eine begrenzte Menge von Leid und Demütigungen aus. Im Juni 1999 sollte
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