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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Cahill
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»ex Aegypto transdueta« (»aus dem Ägyptischen übersetzt«) zu sein; und die Eigenart, Großbuchstaben in den Manuskripten mit roten Punkten zu schmücken – bald
    darauf ein Merkmal irischer Manuskripte –, hatten die Iren erstmals in Büchern gesehen, die die flüchtenden Kopten bei sich trugen. Die
    eiserne Besessenheit und die eigenartigen Bräuche solcher Männer
    hatten bereits das Mißtrauen der orthodoxen Bischöfe auf dem Konti-155
    nent erregt, die die Regeln des Heiligen Martin von Gallien bei weitem vorzogen. Seine Klöster waren alle gleich und unterwarfen sich bereitwillig den Wünschen des örtlichen Bischofs. Wenig später
    sollten diese Orthodoxen das Reglement des Benedikt von Nursia
    noch höher bewerten, dessen Kloster in Monte Cassino nach und nach zum Mutterhaus der westlichen Klosterkultur wurde – einer Klosterkultur disziplinierter Uniformität, die, wenn nötig, von einem auto-kratischen Abt mittels der Prügelstrafe durchgesetzt wurde. Die
    Benediktinerregel, gesegnet von allen nachfolgenden Päpsten, sollte schließlich jede Erinnerung an die auf keine Form festgelegten Iren auslöschen.
    Für die Iren war der Papst, der Bischof von Rom, ein Nachfolger
    des Heiligen Petrus; eine Art Hochkönig der Kirche, aber wie der
    Hochkönig eben eine ferne Gestalt, deren Wünsche man nicht genau
    kannte und noch weniger beachtete. Rom war sicherlich das ultimati-ve Pilgerziel – vor allem weil es dort Bücher gab, die man mitnehmen und kopieren konnte! Doch wenn das Motiv Heiligkeit war:

    Nach Rom zu gehen
    Bringt wenig Nutzen, aber endlose Leiden;
    Den Meister, den du in Rom suchst,
    Findest du zu Hause, oder du suchst ihn vergeblich.

    Das westliche Reich existierte nur noch in der Erinnerung. Der letzte lateinische Herrscher war nur wenige Jahre nach Patricks Tod gefallen. Im Osten gab es zwar noch einen griechischen Herrscher, in
    Konstantinopel, am Bosporus, wo sich längst ein kleinerer, leicht zu verteidigender Staat gebildet hatte, aber er hätte ebensogut in Tim-buktu sitzen können, so bekannt war er in den westlichen Ländern.
    Alle großen Bibliotheken des Kontinents waren verschwunden; selbst die Erinnerung an sie war aus den Köpfen derjenigen gewichen, die in den neuen Feudalgesellschaften des mittelalterlichen Europa lebten.
    Die ersten drei öffentlichen Bibliotheken waren in Rom unter der
    Herrschaft von Augustus gegründet worden. Zur Zeit von Konstantin waren es achtundzwanzig. Ende des vierten Jahrhunderts – wenn wir 156

    Westeuopa im frühen sechsten Jahrhundert

    einem Autor namens Ammianus Marcellinus glauben wollen – waren
    »Bibliotecis sepulcrorum ritu in perpetuum clausis« (»die Bibliotheken, wie Gräber, für immer verschlossen«). Ende des fünften Jahrhunderts gab es zumindest den Berufsstand des Kopisten so gut wie gar nicht mehr, und wenn überhaupt noch Bücher kopiert wurden, dann von
    den letzten Gebildeten persönlich für ihre eigenen schrumpfenden
    Bibliotheken. Im sechsten Jahrhundert gründete Papst Gregor in Rom eine Art Bibliothek. Gregor, zu seiner Zeit die überragende Figur auf dem Kontinent und mit Recht »der Große« genannt, hielt von den
    heidnischen Klassikern ebensowenig wie Aldhelm und las kein Grie-
    chisch. Seine Bibliothek war ziemlich armselig. Trotzdem versuchte der aufrührerische, ungebildete Mob, während einer Hungersnot die wenigen Bücher zu zerstören, denn mittlerweile waren die katholischen Bischöfe zu Inseln in der barbarischen See geworden. In Italien und Gallien wurde weiterhin in gewissem Umfang mit Büchern

    157
    gehandelt – oft durch umherziehende Mönche –, und am Ende des
    Jahrhunderts erbaute Isidor in Sevilla eine echte Bibliothek. Sie um-faßte etwa fünfzehn Bücherschränke mit an die vierhundert gebundenen Kodizes – eine erstaunliche Anzahl für diese Zeit. Die einzige andere Bibliothek auf dem Kontinent, von der wir aus dieser Zeit
    wissen, war die in Kalabrien, auf dem Besitz von Cassiodors Kloster, das er Vivarium nannte. Doch diese Bibliothek ging im Blut und
    Rauch des sechsten Jahrhunderts unter. Gregor von Tours schrieb
    folgenden traurigen Abgesang an die Literatur des sechsten Jahrhunderts: »In diesen Zeiten, da in den Städten Galliens das Briefeschreiben abnimmt, nein, eher verschwindet, fand sich kein Gelehrter, der hinreichend ausgebildet wäre, um in Prosa oder Versen ein Bild
    dessen zu liefern, was uns widerfahren ist.«
    So fand sich Irland, wo man in Frieden lebte und wie wild

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