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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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Erinnerns halber schlicht wie ihr Schöpfer als Ticker bezeichnet wurden. Die Ticker zogen sich wie ein roter Faden durch all seine Bilder und waren sein unverkennbares Markenzeichen. Sie erinnerten entfernt an die Figuren des Keith Haring, was Francus Ticker in bestimmten Kreisen der Kunstszene schnell zu Popularität verholfen hatte. Er wurde von einer Galerie in New York vertreten, seine Kompositionen wurden inzwischen durchaus mit deutlich mehr als zehntausend Euro gehandelt.
    Das war viel Geld, jedoch nicht so viel, dass vor dem Verkauf eines Werkes umständliche Expertisen eingeholt wurden, während die Künstlerkreise dieser Welt den Handel mit gespannter Neugierde verfolgten. Ein Ticker war eine schicke Investition und sicherlich auch eine gute Kapitalanlage, aber nicht hervorstechend, zumindest noch nicht. Das konnte freilich noch kommen, eines Tages würden seine Meisterwerke vielleicht im Millionenbereich gehandelt werden, eine nach oben offene Spekulationsspirale, die sich wunderbar als Verkaufsargument eignete.
    Giandomenico handelte gerne mit Werken von Francus Ticker, da gab es aber ein winzig kleines, kaum erwähnenswertes Problem: Er war nur im Besitz dieses einen Werkes des Künstlers, mehr nicht. An dieser Stelle kam Gianni ins Spiel.
    Die Ticker-Männchen waren stark schematisiert und sahen immer gleich aus. Für einen nur halbwegs talentierten Maler waren sie leicht zu imitieren, erst recht für ein begnadetes Talent wie Gianni. Er hatte ein paar Schablonen in unterschiedlichen Größen angefertigt und sich dann an die Arbeit gemacht.
    Die Bilder des Francus Ticker waren sehr unterschiedlich. Mal waren sie einfach poppig-fröhlich, mal eröffnete sich auf den zweiten Blick ein tiefer, fast unheimlicher Ausdruck, mal waren sie sozialkritisch oder politisch, das Spektrum, in dem sich die starren Ticker bewegten, war weit. Giannis Phantasie waren kaum Grenzen gesetzt. Doch weil er nicht dumm war, schuf er keine extremen Bilder, er hielt gekonnt die Balance in einer unauffälligen, populären Mitte und widerstand allen experimentellen Versuchungen. Man konnte sagen, dass er die Libelle in der Waage hielt. Ich musste kichern, als mir das einfiel. Das Leben ist ein einziger großer Garten der Déjà-vus.
    Strategisch geschickt brachten die beiden Falschspieler Giannis Ticker an den Mann. Der Lockvogel war hierbei der echte Ticker in Giandomenicos Galerie. Giandomenico pflegte interessierten Kunstliebhabern dieses Werk ganz besonders anzupreisen, ohne jedoch dabei den Hinweis auszulassen, diese bedeutende Arbeit des Meisters dürfe er leider aufgrund eines schwelenden Rechtsstreites mit der Galerie in New York zurzeit nicht verkaufen. Aber – falls der fachkundige, urteilssichere Kunstliebhaber Interesse an Werken von Francus Ticker habe, dem aufstrebenden neuen Star der Pop-Art-Szene, dann hätte er da noch etwas für ihn!
    Verschwörerisch führte Giandomenico die Kundschaft dann in ein Hinterzimmer der Galerie, wo er einige waschechte Giannis präsentierte. Giandomenico war ein Meister des verführerisch lockenden Wortes, er verstand sich vorzüglich darauf, in seinem Gegenüber den brennenden Wunsch nach Besitz zu wecken. Die Geschäfte liefen gut. Und mit um die zehntausend Euro pro Bild auch durchaus einträglich. Giandomenico und Gianni teilten den Erlös und waren mit sich und der Welt zufrieden.
    So war das also. Mir wurde klar, wie Gianni seine hübsche Atelierwohnung finanzierte, und ich nahm es ihm nicht übel. Jeder muss in dieser Welt schließlich sehen, wo er bleibt. Und den Kunden passierte ja nichts weiter Schlimmes. Die Bilder sahen aus wie Ticker, sie gefielen dem Käufer, er hatte seine Freude damit, so what ? Und das Beste an dieser Art von Erwerbszweig war, dass niemand körperliche Schäden zu befürchten hatte. Eine glatte, saubere Sache war das. Ich war stolz auf meinen Gianni.
    *
    Mein Diplomatenpaar zeigte sich erfreut über die Einladung zur Vernissage. Das passte ganz hervorragend in ihre Selbstinszenierung als schöngeistige, erlesene Vertreter einer transzendenten gesellschaftlichen Elite. Großmütig nahmen sie es hin, dass auch ich diese Vernissage besuchen würde. Feine Leute haben eben auch ausgesuchtes Personal.
    Gianni und ich gaben unsere Bekanntschaft an diesem Abend nicht zu erkennen. Meine Arbeitgeber ahnten nichts von unserer Beziehung, und das war unbestreitbar auch besser fürs Geschäft. Gianni trug einen pfiffig-eleganten italienischen Anzug und war kaum

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