Wie die Libelle in der Wasserwaage
wiederzuerkennen in seiner urbanen Coolness. Mit großem Ernst und erkennbarer Fachkenntnis begutachtete und kommentierte er die ausgestellten Bilder, allesamt von mehr oder weniger bekannten Vertretern der Pop-Art. Vor dem echten Ticker, der prominent auf einer exponierten Stellwand präsentiert wurde, hielt er inne.
Mit blumigen Worten pries er alsdann die Großartigkeit dieses herausragenden Künstlers, wobei er darauf achtete, nicht zu penetrant vorzugehen, jedoch so, dass seine Begeisterung unter den anderen Gästen der Vernissage nicht unentdeckt blieb. Die Aufmerksamkeit von Madama l’Attaché war auf jeden Fall geweckt.
Beflissen gesellte sich Giandomenico zu der kleinen Traube aus Verehrern der schönen Künste, die sich um das Tickerbild zusammengefunden hatte, und spulte routiniert seine Story vom Rechtsstreit mit der New Yorker Galerie ab bis zu der Stelle, an der das Hinterzimmer seinen Einsatz hatte. Gianni, das Diplomatenpaar sowie zwei andere Kunstfreunde folgten ihm dort hin.
Der eine der beiden Kunstfreunde wandte sich sofort ab, als Gianni den Preis der zwei Bilder, die er dort hervorholte, nannte. Der andere schlug ohne zu überlegen zu und erwarb auf der Stelle ein grünes Bild mit einer Gruppe von Ticker-Männchen, die sich vor der Londoner Battersea Power Station in Szene gesetzt hatten. Es war unglaublich, er kramte die geforderten zehntausend Euro aus der Innentasche seines Jacketts und zahlte ohne mit der Wimper zu zucken in bar. Am nächsten Tag, so wies er Giandomenico an, solle er das Kunstwerk an seine Adresse liefern, wozu er ihm seine Visitenkarte überreichte. So lief das also, vollkommen lässig und mit souveräner Nonchalance.
Blieben Gianni und mein Diplomatenpaar. Madama hatte in der Zwischenzeit ihrem Gatten eindringlich einiges zugeflüstert, das ich nicht verstanden hatte. Aber offenkundig hatte sie starkes Interesse an dem verbliebenen Gemälde, das eine Ticker-Familie vor einer herrschaftlichen Villa zeigte, über die quer in großen roten Lettern das Wort „SOLD“ gepinselt war. Da meldete sich Gianni.
Wie viel das Objekt kosten solle, fragte er Giandomenico. Giandomenico nannte einen etwas höheren Preis, da dieses Meisterstück deutlich großformatiger als das Battersea-Bild war. Alsdann entspann sich ein unglaublicher Disput zwischen Giandomenico, Gianni und meinen Diplomaten. Gianni heuchelte sehr überzeugend starkes Interesse an diesem seiner eigenen Werkstatt entsprungenen Stück, jedoch Madama l’Attaché hatte sich inzwischen in den Gedanken vernarrt, selbst in den Besitz des Werkes zu kommen. Es begann ein wildes Handeln und Feilschen, zu dessen gutem Ende Madama triumphierte und für stolze sechzehntausend Euro einen waschechten Gianni ihr Eigen nennen dürfte. Ich war beeindruckt.
*
Am nächsten Abend, als Gianni und ich uns einen Aperol Spritz in einer kleinen Bar unweit vom Pantheon gönnten, überreichte er mir einen Umschlag mit tausend Euro. Eine kleine Anerkennung für meinen Einsatz, so erläuterte er. Aber da sei noch viel mehr drin! Eine feine, erquickliche Sache könne das für uns alle werden. Dann erklärte er mir seinen Plan.
Wann immer er einen neuen Fake-Ticker erstellt habe und die Farbe hinlänglich abgetrocknet sei, solle ich gegenüber meinen Arbeitgebern die Neuigkeit streuen, dass ein topaktueller Ticker in Giandomenicos Galerie eingetroffen sei. Ein brandfrisches Werk von nicht zu unterschätzendem Wert und vor allem mit prosperierender Zukunft. Denn nicht nur meine Attaché-Familie war eine potentielle Zielgruppe: Sie kannten theoretisch das gesamte diplomatische Corps von Rom. Ein riesiger Markt, Wahnsinn!
Ich sollte sie möglichst geschickt und treuherzig davon überzeugen, dass sie ihren eigenen Status in diesen Diplomatenreihen noch deutlich besser und vor allem gewichtiger entfalten könnten, wenn sie sich als Beschaffer von soliden Insiderinformationen aus dem für Laien doch ziemlich undurchschaubaren Kunstmarkt hervortun könnten. Im Gegenzug wäre mir pro erfolgreichem Verkauf eine kleine, unter der Hand dargereichte Aufwandsentschädigung sicher. Eine grandiose Idee, oder?
Ich wäre ja ganz schön blöde gewesen, wenn ich nicht begeistert gewesen wäre. Fortan trimmte ich mich auf meinen neuen Job. Ich durchforstete das Internet nach Informationen über Kunst, Künstler und deren Schaffensperioden, Stilrichtungen, Museen, bedeutende Sammler und vor allem nebulöse Fachtermini, die ungeheuer wichtig und kompetent
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