Wie die Libelle in der Wasserwaage
Höchstgeschwindigkeit auf der Gewinnerschiene.
*
Die nächsten Monate verliefen ganz nach Plan, ohne bedeutende Höhepunkte, aber auch ohne ärgerliche Zwischenfälle. Gianni malte, ich streute kunstinterne Informationen, Diplomaten aus Bolivien, Belize, Paraguay, Surinam, Kolumbien und anderen Ländern, die kein normaler Mensch auf Anhieb auf dem Globus findet, waren unsere dankbaren Abnehmer. Noch immer wurde ich nur mit vergleichsweise kleinen Erfolgshonoraren abgespeist, aber ich gab mich vorerst damit zufrieden und legte meine Erträge auf Seite. Ich brauchte ja nicht viel. Ich war klug und besonnen und verpulverte mein Kapital nicht für kostspielige Designerklamotten, Schmuck und Parfums, ich begnügte mich mit preiswertem Zeug von Upim und H&M. Nur ein günstiges Notebook leistete ich mir, in erster Linie, um endlich am Internet teilnehmen zu können. Im Jahre 2005 konnte doch kein Mensch noch ernsthaft offline sein. Und mein Diplomatenhaushalt verfügte immerhin schon über DSL. Mehr Luxus gönnte ich mir aber nicht. Alles andere würde schon noch kommen, Geduld!
Den großen Knall wollte ich mir bis nach der Hochzeit aufsparen. Hochzeit mit Gianni! Ein Hollywoodfilm würde Wirklichkeit werden und ich war die Hauptdarstellerin!
Wir planten, im September in Ravello zu heiraten. Das sei ein malerischer Ort, erläuterte Gianni, der mit absolut spektakulärem Panorama über der Amalfiküste in Kampanien liegt. Seine Familie kam aus der Gegend, er selbst war hier aufgewachsen. Mit ansteckendem Elan erklärte er, alles Erforderliche in die Wege zu leiten und mithilfe seiner Sippe ein unvergessliches, märchenhaftes Fest hoch über der Steilküste zu arrangieren, dort, wo schon Wagner einstmals Opern komponierte. Ich war berauscht. Wie sollte mir noch der Himmel auf den Kopf fallen, wenn ich ihm so nahe sein würde!
*
Eines Tages im Mai, die Welt erhob sich prachtvoll aus dem Winterschlaf, meldete Gianni sich nicht. Sein Handy blieb stumm, seine Wohnungstüre verschlossen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keinen Schlüssel besaß. Verlobte tauschen doch Schlüssel untereinander aus, oder? Ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet.
Es war natürlich naheliegend, dass ich als nächstes zu Giandomenicos Galerie ging. Sie war verschlossen, von Giandomenico keine Spur. Durch die großen Schaufenster sah ich nur das echte Ticker-Gemälde, das wie ein stummer Vorwurf an seinem üblichen Platz hing.
In der Galerie meldete sich bloß der Anrufbeantworter, Giandomenicos Handy war ausgeschaltet. Ich rief alle Bekannten Giannis an, deren Telefonnummern ich hatte. Niemand wusste etwas.
So ging ich zurück zu Giannis Wohnung und schellte bei der Nachbarin. Sie wusste nicht genau, wann sie Gianni zuletzt gesehen hatte, ihr war nichts Besonderes aufgefallen. Aber sie verstand meine Sorge.
Womöglich war ihm etwas zugestoßen, unter Umständen lag er gerade jetzt in der Wohnung, hilflos, mit gebrochenen Knochen, verblutend, Herzinfarkt, Lungenödem, Milzriss, wer weiß? Meine Angst steckte die Nachbarin an. Über einen Schlüssel verfügte aber auch sie leider nicht.
Ich wurde wild. Ich war entschlossen, die Türe einzutreten. Ich tobte, ich trat ein paarmal erfolglos dagegen. Die Nachbarin tat ihr Bestes, mich zu beruhigen. Calma, con calma , ruhig, sagte sie und rief ihren Mann zu Hilfe. Er war Hausmeister in einem Einkaufszentrum und erschien mit einem Schraubenzieher. Ein paar routiniert Handgriffe und die Türe stand offen.
Drinnen schien nichts verändert. Es war das übliche künstlerische Chaos. Die Staffeleien, die Bilder, das Bett. Klamotten überall. Ob etwas davon fehlte, vermochte ich nicht zu sagen. Nur eines fiel mir auf: Mein Portrait war nicht mehr da.
*
Il Messaggero, die Tageszeitung von Rom, berichtete am nächsten Tag folgendes: Ein Sonderkommando der staatlichen Mafiafahndung hatte – auch mit Hilfe von Interpol – einen stattlichen römischen Geldwäscherring ausgehoben. Zahlreiche Personen seien verhaftet worden, darunter fünf Restaurantbesitzer, drei Inhaber von Boutiquen, mehrere Makler, Bauunternehmer und Rechtsanwälte, ein Architekt sowie ein Galerist. Mir klappte der Unterkiefer herunter.
*
Ich hörte nichts mehr. Sowohl Gianni als auch Giandomenico waren wie vom Erdboden verschluckt. Mir blieb nichts anderes übrig, als eigenständig Nachforschungen anzustellen, und ich erfuhr alsbald in den Kreisen von Giannis Freunden, dass unser Giandomenico eben jener besagte,
Weitere Kostenlose Bücher