Wie die Libelle in der Wasserwaage
Gestalter des modernen Köln zu sein. Toll, oder? An solche Aufträge komme man ja nicht so leicht, aber er habe da natürlich seinen Einfluss, schließlich sei er gebürtiger Kölner und tief in den Machtstrukturen der Stadt verwurzelt. Da wisse man, wem gegenüber man loyal zu sein habe, nur so funktioniere ein solides Wachstum, eine Hand wäscht die andere, nicht wahr?
Er gehörte einem Karnevalsverein an, irgendwelche Funken, blau, rot, violett, was weiß ich, ich hörte nicht so genau zu, weil ich mich ehrlich gesagt noch nie für Karneval interessiert hatte. Diese Vereine, so hörte ich aber heraus, seien das Fundament, auf dem die Stadt Köln ruhe und auf ihrer Basis funktioniere die gesamte Infrastruktur, und zwar reibungslos.
Eigentlich könne es ihm also im Grunde recht gut gehen, wenn da nicht die Sache mit Charlotte gewesen wäre. Charlotte sei seine Lebensgefährtin gewesen, drei ganze Jahre lang, aber in der letzten Zeit hätte es nur noch Streit gegeben, und vor vier Wochen sei Charlotte schließlich ausgezogen, was im Grunde natürlich auch viel besser so war. Sie sei ziemlich zickig gewesen, immer hätte sie herumgenörgelt, das sei ja auch kein Zustand, so auf die Dauer. Es sei jetzt ein bisschen einsam bei ihm zu Hause, aber er würde sich schon noch daran gewöhnen. Außerdem hätte er ja viele Freunde. Über gute Freunde gehe ja nichts im Leben.
So sei das. Und ich? Was ich denn in Köln so mache?
Ich war nicht so blöde, schon wieder die spontane Geschichte von der Modebranche in den Raum zu streuen. Vielmehr hatte ich den Tag genutzt, um mir eine plausible Story auszudenken, die mir auch über den ersten Abend hinaus von Nutzen sein konnte. Besonders viel Phantasie hatte ich nicht aufgewendet, aber das war auch gar nicht nötig. Es ist immer besser, wenn man bei Konstrukten bleibt, die einem nicht so fremd sind, umso geringer ist nämlich die Gefahr, dass man auf Grund läuft und nicht mehr weiterkommt, weil man einfach nicht Bescheid weiß. Und erfundene Geschichten sollte man so simpel wie möglich halten, umso weniger muss man sich merken. Denn das Problem am Lügen ist ja, dass man die ganzen Gebilde übersichtlich im Kopf abspeichern muss, um auch beim späterem Zurückgreifen auf bereits Erzähltes glaubwürdig zu bleiben. Deshalb verabscheue ich Lügen im Grunde. Die Wahrheit zu erzählen ist wesentlich einfacher. Aber nicht immer opportun.
In diesem Falle zumindest nicht. Ich hatte mir überlegt, ich sei die Tochter eines Diplomaten aus Rom. Am besten des Militärattachés von Venezuela, da hatte ich schließlich erstklassige Insiderinformationen. Und so einem lateinamerikanischen Milizen traut man doch zu, mit rigiden patriarchalischen Denk- und Verhaltensmustern sein zartes, hilfloses Töchterchen nachhaltig zu vergraulen, oder? Wer würde da nicht Mitleid mit mir haben?
Und weil mein Vater so ein brutaler Unterdrücker war, hatte ich als letzten lebensrettenden Ausweg nur die Flucht gesehen. Ich war spontan abgehauen, das erklärte, warum ich nicht viele Habseligkeiten bei mir führte und auch ansonsten mittellos war. Meine Konten und Kreditkarten hatte er gesperrt, so machten das solche gefühllosen Tyrannen doch!
Die Flucht aus Rom hatte mich nach Deutschland geführt. Hier war mein Vater zuvor einige Jahre lang als Diplomat tätig gewesen, ich war quasi hier aufgewachsen, deshalb beherrschte ich auch die Sprache. Schlau, nicht wahr?
Blieb noch mein Name. Sibylle, das ist ganz okay. Zwar nicht unbedingt der typisch venezolanische Vorname, aber Diplomaten sind ja Kosmopoliten. Und mein merkwürdiger Nachname passte auch ganz gut in diesen Plan. Huizinga, wer hieß schon so? Als Kind hatte ich diesen Namen immer völlig bescheuert gefunden. Jetzt kam er mir erstmals recht praktisch vor. Er klang vielleicht nicht unbedingt lateinamerikanisch, aber eigentlich klang er überhaupt nicht nach irgendwas und somit wieder nach allem. Ein Chamäleon-Name, Sibylle Huizinga könnte doch genauso gut aus Bottrop wie aus Caracas kommen.
Okay, ich hatte die deutsche Staatsangehörigkeit. Aber ein Grund, warum ich als waschechte Venezolanerin einen deutschen Pass hätte, würde mir schon noch einfallen. Das war das Problem von einem anderen Tag.
Natürlich erzählte ich Hoch-Tief-Heinz nicht sofort diese ganze Geschichte. Nur auf Nachfragen rückte ich tröpfchenweise mit einzelnen Elementen davon heraus. Es sollte ja nicht so wirken, als ob ich es darauf angelegt hätte, jemanden zu
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