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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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guckte ich mir erst mal die Steinchen und Blümchen rund um unser Haus an. Das wurde schnell langweilig. Also beschloss ich, mich ein wenig in die Sonne zu legen.
    Ich musste wohl ein bisschen eingedöst sein, denn ich erschrak fürchterlich, als plötzlich ein wildes Rufen aus einiger Entfernung einsetzte. Ich setzte mich auf und sah im gleißenden Gegenlicht die Umrisse einiger meiner Reisegefährten, die sich völlig wirr und offensichtlich aufgeregt durcheinander bewegten. Da schien irgendetwas passiert zu sein. Ich würde wohl mal nachsehen müssen.
    Corinna war bei der Kletterei abgerutscht und gestürzt. Ich hatte ja von Anfang an gewusst, dass die Kraxelei in den Felsen seine saublöde Idee war. Nun lag sie jammernd am Boden und um das Gelenk ihres rechten Fußes hatte sich eine beachtliche Beule gebildet. Das sah wahrhaftig nicht besonders gut aus. Am Ende war das Ding gebrochen. Das Ganze hier oben, vierhundert Stufen über dem Straßenniveau, das war nicht lustig.
    Die Aufregung unter meinen Genossen war groß. Was sollten wir nun tun? Es sah nicht danach aus, dass Corinna selbst würde laufen können. Vierhundert Stufen abwärts auf einem Bein? Undenkbar.
    Uns fiel nichts Besseres ein, deshalb riefen wir die Notfallnummer an. Was heißt da eigentlich wir, es war natürlich ich, die telefonierte, denn ich sprach ja als Einzige fließend Italienisch. Eine süditalienische Notfallambulanz, das konnte ja was werden!
    Doch der Krankenwagen traf nach verblüffend kurzer Zeit ein. Zwei Rettungssanitäter kamen die Stufen hinaufgehechtet, bewaffnet mit einer Trage und einem Notfallkoffer. Man merkte ihnen die lebenslange Übung auf Stufenwegen an, jeder normale Flachlandbewohner hätte bei ihrem Tempo einen Herzinfarkt erlitten. Aber an der Amalfiküste war es überall steil, niemand lebte hier ohne Stufen. Viele, viele Stufen. Das trainiert.
    Sie begutachteten Corinna, stellten aber keine Diagnose, nicht einmal zu einer Vermutung verstiegen sie sich. Denn sie waren nur Sanitäter. Klar war, dass Corinna einem richtigen Arzt vorgestellt werden müsse. Deshalb würden sie sie ins kleine Krankenhaus von Castiglione, einem Kaff, das gleich hinter Amalfi auf dem Weg nach Ravello lag, mitnehmen müssen. Sie verfrachteten das bleiche Mädchen auf die Trage, schnallen sie fest und abwärts ging`s. Corinna sah mich flehend an, das wäre nicht nötig gewesen, denn so viel Anstand hatte ich schon, sie nicht alleine zu lassen. Schließlich sprach die Ärmste kein Wort Italienisch. Von sì , no und grazie einmal abgesehen. Außerdem schloss sich Herbert unserem kleinen Rettungsteam an. Wir beide durften im Krankenwagen mitfahren.
    *
    War das Notfallteam mit seinem recht modernen Krankenwagen noch eine positive Überraschung gewesen, so holte uns das Krankenhaus selbst wie ein kalter Guss aus dem Wassereimer auf den Boden süditalienischer Zustände zurück. Der Bau war völlig heruntergekommen, sowohl von außen als auch von innen. Der abgetretene PVC-Boden war teilweise mit großen Pappkartonteilen ausgelegt, die Beleuchtung auf den gelblich-muffigen Fluren war nur schummerig. Die Beschriftungen auf den Türen zu einzelnen Räumen waren von Hand mit einem Edding ausgeführt oder aber mit Kugelschreiber auf ein altersschwaches Stück Leukoplast gekrickelt.
    Die junge Krankenschwester, die Corinna ins Untersuchungszimmer holte, sprach keine Fremdsprache. Das wäre ja noch hinnehmbar gewesen, aber auch der behandelnde Arzt, ein Mann von vielleicht Mitte vierzig, sprach ausschließlich Italienisch. Nicht einmal simple Worte der englischsprachigen Diagnostik, wie zum Beispiel „ pain “, gehörten zu seinem Repertoire. Hatte er es denn in dieser bei Touristen so beliebten Region niemals mit Ausländern zu tun?
    Arme Corinna. Ohne mich wäre die Situation ganz schön brenzlig für sie gewesen. Wer will schon als Notfallpatient einem Arzt ausgeliefert sein, mit dem er sich überhaupt nicht verständigen kann?
    Die Diagnose schien eine diffizile Angelegenheit zu sein, Arzt und Krankenschwester tauschten kaum ein Wort und lächelten vor allem niemals. Womöglich irritierten wir Ausländer aus dem exotischen Deutschland sie aber auch bloß.
    Während der Arzt sich an Corinnas Fuß zu schaffen machte, fiel mein Blick auf den Defibrillator, der neben der Krankenliege stand. Ich war sprachlos. Das altersschwache, abgewetzte Ding sah aus, als stamme es aus den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts und war, genau wie die Türen, mit

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