Wie die Libelle in der Wasserwaage
gebe ich natürlich auch in Positano deutlich höhere Einnahmen an, als ich wirklich habe. Das viele Geld, das Gianni mir unter der Hand zuschustert, muss ja schließlich irgendwo wieder auftauchen. Zumindest zu größeren Teilen. Ein bisschen von unserem eigenen Geld müssen wir natürlich auch am Finanzamt vorbeischleusen.
Und es ist besser, seine Gelder zu streuen, als sie an einer Stelle zu konzentrieren. Man will ja nicht auffallen. Schließlich haben die Italiener eigens eine Guardia di Finanza , eine Finanzpolizei, man stelle sich das einmal vor! Die müssen es wirklich nötig haben. Oder ein Volk von mezzorecchi , von Schlitzohren, sein.
Wobei die Süditaliener deutlich toleranter sind als zum Beispiel die Römer. Nur unser Bürgermeister verlangt ab und zu eine kleine Zuwendung. Aber das hält sich wirklich im Rahmen.
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Dann, eines Tages im Februar 2011, stand Hoch-Tief-Heinz mit zwei Koffern und seinem Maserati vor der Tür. Er war völlig zerknirscht, der arme Kerl. Die Staatsanwaltschaft hatte in einer großangelegten Aktion die Büros einiger am U-Bahn-Bau beteiligten Baufirmen durchsuchen lassen. Er hielt es daher für ausgesprochen vernünftig, erst einmal unterzutauchen und die weitere Entwicklung der Dinge aus der Ferne zu beobachten. Denn da sei diese dumme Sache mit den verschwundenen Stahlträgern gewesen, nur jeden sechsten habe man verbauen lassen, das sei wohl doch zu wenig gewesen. Naja, er wolle da jetzt lieber nicht so detailliert drüber reden, aber man müsse ja schließlich sehen, wo man bleibt.
Tom hätte auch gemeint, es sei deutlich besser, wenn er nun erst mal die Biege mache. Und er hatte ihm doch tatsächlich zugeraten, mich in Italien aufzusuchen. Niemand kenne ihn da, aber er kenne mich und ich käme ja überall durch. Mein Restaurant kannten beide nämlich schon recht gut über dessen Facebook-Seite, die ich mit viel Liebe gestaltete. Ich schien doch wirklich recht erfolgreich zu sein. Das sei mit Sicherheit eine Basis, aus der sich etwas entwickeln ließe. Wie zum Geier meinte Tom das denn?
Wie gut, dass Heinz den größten Teil seines Geldes auf den Cayman Islands aufbewahrte. So war er wenigstens alles andere als mittellos. Trotzdem setzten wir ihn erst mal in die bescheidene Wohnung über dem Restaurant, die ja leer stand, seit Maria Pilar bei Francesco lebte. Es war die bequemste Lösung und lag quasi auf der Hand. Ich drückte ihm neunundzwanzigtausendfünfhundert Euro in die Hand. Die hatte ich gerade herumliegen. So hatte er erst mal Bargeld und ich ein gutes Gewissen.
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Der umtriebige Heinz hatte natürlich sein Blackberry dabei, doch war es in diesen Tagen seltsam schweigsam. Auf diese Art plötzlich freigestellt lehnte Heinz sich zurück und beobachtete den Betrieb in unserem Restaurant. Schon nach zwei Tagen kam er zu dem Schluss, dass wir hier noch viel mehr rausholen könnten. Die Wohnung, in der er gerade untergekommen war, müsse mit in den Restaurantbetrieb einbezogen werden, die Küche ließe sich zur einen Seite hin erweitern, der Garten unseres Privathauses könne teilweise in die Restaurantterrasse integriert werden und oberhalb sei auch noch Platz für weitere Restauranträume. Alles andere sei eine Verschwendung unserer Kapazitäten. Wir müssten unser Potenzial voll ausschöpfen, die Nachfrage sei ja da. Ob wir denn keinen Architekten kennen würden? Den Rest könnten wir getrost ihm überlassen.
Ich fand seine Pläne nicht uninteressant, belächelte seinen Tatendrang andererseits aber auch. Weniger lustig fand ich, dass Heinz und Gianni sich offensichtlich prächtig miteinander verstanden. Beide sprechen fließend Englisch und hockten damals oft stundenlang tuschelnd zusammen. Ich hoffte inständig, dass es nur die Namensähnlichkeit war, die beide miteinander verband. Gianni heißt nämlich zu Deutsch Hans, und das klingt doch ganz ähnlich wie Heinz.
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Heute lebt Heinz schon längst nicht mehr in der Wohnung über dem Restaurant. Er hat sich eine hübsche Villa mit Swimmingpool in Vettica Maggiore gekauft, wenn man da mit einem schönen Cocktail auf der Terrasse am Pool liegt, hat man über die Marmorbrüstung hinweg einen tollen Blick auf das Meer und Positano, diesen pittoresken Ort, der pastellfarben an der Steilküste klebt, als sei er einem orientalischen Märchen entsprungen. Darum beneide ich ihn wirklich, obwohl unser Blick auf das tiefblaue Meer vor den bizarren Felsformationen von Amalfi und den Bergen des Cilento am Horizont
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