Wie die Madonna auf den Mond kam
ein Kartenhaus. Man würde mich dann gewiss mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagen, was mir in dieser Situation egal war, doch Großvater Ilja, meine Mutter und Tante Antonia hätten mit der Schmach zu leben, einen Kirchenschänder großgezogen zu haben. Plötzlich verstand ich meine liebe Buba, die keinen Weg sah, sich in ihrer Sippe gegen die Gesetze des Blutes zu wehren. Meine eigene Familie aufzugeben, diesen Preis zu zahlen, war ich bereit. Doch was nutzte das? Würde ich den Kirchenfrevel auf meine Schultern laden, so wäre damit zwar die Sache mit dem Ewigen Licht und dem Blut an der Viehtränke geklärt, nicht aber der Mord an Johannes Baptiste. Ein Rest an Zweifel bliebe in Baia Luna für alle Zeit. Der Angela Barbulescu, die man im Dorf zu kennen glaubte, war schließlich alles zuzutrauen. Und einer Frau, die ihrer kranken Mutter die falschen Medikamente verabreichte, sowieso. Dass diese Mutter in ihrer Boshaftigkeit mit Kora Konstantin seelenverwandt war, wusste nur ich.
Karl Koch meldete sich zu Wort. Anstatt, wie es im Dorf üblich ist, jede und jeden mit dem Vornamen anzusprechen, sagte er förmlich: »Frau Konstantin. Am 6. November haben Sie von Ihrem Küchenfenster aus gesehen, wie die Lehrerin Barbulescu ins Pfarrhaus ging ... «
»Schlich. Schlich, habe ich gesagt! «, belehrte Kora den Sachsen. »Man dreht mir das Wort im Munde um.«
»Also, Sie haben Frau Barbulescu auf dem Weg ins Pfarrhaus beobachtet. Und Sie haben auch gesehen, dass die Lehrerin lange den Klingelknopf betätigte.«
»Genauso war es.«
»Aber von dort, wo Sie von morgens bis abends in Ihrer Küche hinter der Gardine hocken, kann man die Tür der Pfarrei gar nicht einsehen.«
»Kann man doch!«
»Nein!«, fielen nun auch Erika Schuster und einige andere Frauen ein. »Von der Küche der Konstantins führt der Blick nur auf die Straße.«
Karl Koch wurde energischer. »Sie lügen also, wenn Sie behaupten, Frau Barbulescu aus Ihrer Küche heraus an der Tür der Pfarrei gesehen zu haben.«
»Ich lüge nicht«, zischte die Konstantin. »Außerdem habe ich das nie behauptet. Ich habe genau beobachtet, dass die Barbu mindestens zehn Minuten klingelte. Aber ich habe nie gesagt, dass ich dabei in der Küche war.«
»Sie sind der Barbulescu also auf ihrem Weg ins Pfarrhaus nachgeschlichen? «, fragte Karl Koch.
»Das musste ich doch, nach all dem, was wir heute über dieses Luder wissen! «
Ich löste mich von der Steinsäule, an der ich die ganze Zeit gelehnt hatte, und schritt langsam nach vorn. Kara erbleichte und hielt sich die Hände vor die Nase. Ich blickte zu Istvan Kallay. »Darf ich auch eine Frage stellen?«
Istvan nickte. »Deshalb sind wir hier.«
»Der nicht. Dem antworte ich nicht«, schrie Kara, als ihr Schwager Marku sie in ungewohnter Manier anherrschte: »Dem gibst du er st recht eine passende Antwort! « Kara beruhigte sich.
»Also«, sagte ich, »wenn du Angela Barbulescu gefolgt bist und auch gesehen hast, wie sie nach einer Stunde wieder aus der Pfarrei herauskam, hast du danach mit ihr gesprochen?«
»Ich? Mit der sprechen? Was für eine törichte Frage! «, entrüstete sich Kara. »So viel Dummheit kann nur von einem Botev stammen. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Dein Großvater kann ja noch nicht einmal lesen. Keine einzige Zeile kriegt dieser Dummkopf auf die Reihe.«
Großvater schnellte von seinem Sitz hoch, eilte durch die Kirche nach vorn und ballte zum Erstaunen aller die Faust. »Du Hexe lügst, wenn du den Mund aufmachst.« Ilja schnappte sich das Evangelienbuch, das auf dem Altarstein lag und reckte es in die Höhe. »Nenn mir ein Kapitel, Kara Konstantin, und ich werde allen hier in der Kirche beweisen, dass du lügst.«
Kara war so perplex, dass sie kein Wort herausbrachte. Der Kirchendiener Julius Knaup sprang ihr zur Seite. Lauthals rief er: »Wir werden ja sehen oder besser hören. Evangelium des Johannes. Kapitel drei. Ab Vers vier ! «
Ilja blätterte eine Weile, bis er die Textste ll e gefunden hatte.
Dann las er: »Und Nikodem us sprach: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er schon alt ist? Kann er etwa zum zweiten Mal in den Schoß seiner Mutter eingehen und geboren werden? Jesus antwortete ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was geboren ist aus dem Fleisch, das ist Fleisch, und was geboren ist aus dem Geist, das ... «
»Danke, Ilja, das reicht wohl«,
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