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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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vergessen. Aber sie ging nicht zur Schule. Sie ging auf das Pfarrhaus zu. Ich sah, wie sie lange an der Schelle läutete, bis ihr die Tür geöffnet wurde. Dass die Barbulescu niemals zuvor den Pfarrer aufgesucht hat, ist im Dorf ja wohlbekannt.« Kara blickte von ihrem Papier auf und schaute die Versammelten an. »Wenn ich sage, niemals, dann meine ich: An keinem Tag in den sieben Jahren und drei Monaten, in denen diese Weibsperson hier gewohnt hat, hat sie das Haus des Pfarrers betreten. Diese meine Beobachtung wurde inzwischen auch seitens des Bibliothekars Dimitru Gabor bestätigt.«
    »Na und!«, rief Großvater. »Was soll das beweisen? Johannes Baptiste war nach dem Besuch des Fräuleins noch lebendig. Sehr lebendig sogar. Er war den ganzen Nachmittag und Abend zu Gast auf meinem Geburtstag.«
    Einige Männer klatschten. »Wohl wahr, wohl wahr!« Andere wunderten sich, dass sich ihr ansonsten stets zurückhaltender Schankwirt so energisch zu Wort meldete. Kara hingegen ließ über ihren Schwager verlauten, werde sie erneut in ihrer Rede unterbrochen, werde sie ihr Wissen für immer mit dem Mantel des Schweigens umhüllen. Istvan mahnte wiederholt zur Ruhe, andernfalls sähe er sich gezwungen, die Versammlung aufzulösen. Kara fuhr fort, indem sie wiederholte, was als Gerücht schon längst im Umlauf war.
    »Die Person Barbulescu kam zu dem Pfarrer, um das Heilige Sakrament der Beichte zu ersuchen. Aber an ihren Missetaten haftete schwerste Schuld. Untilgbare Schuld. Daher wurde ihr von Pater Johannes die Lossprechung verweigert. Manche Todsünden wiegen so schwer, dass selbst der Heilige Vater in Rom nicht über die Autorität verfügt, im Namen des Herrn die Absolution zu erteilen. Die schlimmsten Sünder behält sich der Herrgott nämlich für den Tag des Jüngsten Gerichtes persönlich vor. Bevor unser Herr Pfarrer so schändlich ermordet wurde, konnte er in der letzten Ausübung seiner priesterlichen Pflicht nur eines tun: Er forderte diese Person auf, unser Dorf zu verlassen. Wie ich zu Recht vermuten darf, wegen des Einflusses, den dieses Weibsstück auf unsere Kinder hat.«
    »Konstantin, du hast einen Knall«, rief ich dazwischen, glühend vor Wut. »Du gehörst in die Klapsmühle mit deinen schmierigen Fantasien.«
    Ich erntete zwar verhaltene Zustimmung, doch die meisten zischten nur: »Ruhe, Ruhe, sonst schweigt sie für immer.« Istvan sah sich genötigt, zum allerletzten Mal unbedingtes Stillschweigen einzuklagen. Wer sich fortan nicht an die Regel halte, werde ohne Umschweife aus der Kirche entfernt. Für diese Ankündigung erhielt der Ungar Beifall, was Kara mit Befriedigung quittierte. Sie las weiter.
    »Eine Stunde, nachdem der Barbulescu das Pfarrhaus geöffnet wurde, schlich sie wieder hinaus. Ich sah, wie in ihren Augen der Hass funkelte. Hass auf unseren Pfarrer. Hass auf die Mutter Kirche. Und Hass auf den Herrgott selbst. In diesem Moment zeigte die Barbu ihr wahres Gesicht. Und ich sagte noch zu meinem Schwager: >Marku, schau in dieses Gesicht. Die Barbu sinnt auf Rache. Etwas Schreckliches wird geschehen.«< Kara schaute zu ihrem Verwandten hinüber.
    Marku nickte und sprach bedeutungsschwer: »So ungefähr ist es geschehen.«
    Später, im Schutz des Dunkels der Nacht, so berichtete Kara Konstantin weiter, sei die Barbu mit einem scharfen Messer unter ihrem Mantel noch einmal zu Pater Johannes geschlichen. Zuerst habe sie die arme Haushälterin zu Tode erschreckt. Anschließend den Priester gemeuchelt. »Sie hat ihn für immer zum Schweigen gebracht, damit er nicht mit ihren ruchlosen Sünden hausieren gehen kann.«
    Ich konnte vor Fassungslosigkeit über die Wahnvorstellungen der Konstantin nicht einmal den Kopf schütteln. Ich schaute über sie hinweg und erblickte an der Wand rechter Hand des Altars die Ampel mit dem erloschenen Ewigen Licht. Ich dachte an Fritz Hofmann. Nichts werde geschehen, hatte Fritz behauptet, als er das kleine Lämpchen auslöschte. Aber es geschah etwas. Baia Luna taumelte in einen aberwitzigen Albtraum.
    »Der Barbu fiel das Morden leicht!« Kora hob ihre Stimme und proklamierte keifend: »Ich weiß es, ich weiß es, ich weiß es! Seit letztem Sommer! Seit ich in der Hauptstadt warl Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.«
    Man erinnerte sich. Kora war wochenlang umherstolziert und hatte getönt, sie werde ihre Tante im Paris des Ostens besuchen, wohin sie im August des vergangenen Jahres auch tatsächlich gefahren war.

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