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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Wege nach Baia Luna wieder passierbar. Zumal nun der Mord an Johannes Baptiste keine offenen Fragen mehr übrig lasse.
    »Was soll das heißen? «, fragte Großvater.
    »Die Barbu war's. Kora hat recht. Das weiß doch allmählich jeder. Sogar die Zigeuner haben gesehen, wie sie ins Pfarrhaus geschlichen ist.«
    » Mach, dass du hier rauskommst ! «, war das Einzige, was mein Opa Vera Raducanu entgegnete. Doch als im Lauf des Nachmittags zuerst Erika Schuster, dann Elena Kiselev und schließlich auch Istvan Kallay, Karl Koch und Hermann Schuster Großvater aufsuchten und allesamt erzählten, die verrückte Konstantin werde nun ihr Schweigen brechen und unumstößliche Beweise vorlegen, dass allein Angela Barbulescu hinter dem Mord an Pater Johannes stecke, war Großvater bewusst, dass er in seiner Arglosigkeit eine Lawine losgetreten hatte. Allein Hermann Schuster bewahrte einen nüchternen Kopf und schlug vor, an Mariä Lichtmess eine Dorfversammlung einzuberufen, um dem Topf der überkochenden Gerüchte ein für alle Mal den Deckel aufzusetzen. Um die Mauscheleien zu beenden, sollte Kora die Gelegenheit erhalten, ihre Sicht der Geschehnisse zu erörtern, ihre Beweise vorzulegen und zugleich den Fragen der Dorfbewohner Rede und Antwort zu stehen. Schusters Idee wurde sofort begrüßt, sodass man in Windeseile in Umlauf brachte, anderntags um Punkt elf Uhr finde in der Botev'schen Schankstube eine außerordentliche Bürgerversammlung statt, zu der alle Männer und Frauen dringlichst zu erscheinen hätten. Als Kora Konstantin von der Idee erfuhr, erklärte sie, sie werde sagen, was sie zu sagen habe, aber nie und nimmer im Hause der Botevs. Da nichts auf der Welt Kora umstimmen würde, entschied man, die Anhörung in der Pfarrkirche abzuhalten. Was unter praktischen Gesichtspunkten keine schlechte Entscheidung war, weil unsere Trinkstube bereits bei einem Drittel der Neugierigen aus allen Nähten geplatzt wäre. Wer eine halbe Stunde vor dem anberaumten Termin die Kirche betrat, musste sich mit einem Stehplatz begnügen.
    Kora kam als Letzte. Gestützt von ihrem Schwager Marku und dem Kirchendiener Knaup, schleppte sie sich gemächlichen Schritts durch den Mittelgang, wo man vor dem Altarraum drei Stühle aufgestellt hatte. Trotz der Kälte trug Kora nur ein schwarzes Kostüm. Ihr Haar steckte unter einer Pelzkappe, während ein Schleier aus schwarzem Tüll ihr Gesicht verhüllte. Sie nahm zwischen ihren beiden Begleitern Platz, als Istvan Kallay, den man zum Leiter der Anhörung berufen hatte, die Anwesenden begrüßte.
    »Das Wort hat Frau Kara Konstantin!«
    Umständlich nestelte Kara ihren Schleier zur Seite, streckte die Brust vor und rief: »Wir sind hier nicht in einem Gerichtssaal, sondern im Hause Gottes. Gelobt sei Jesus Christus. Gegrüßet seist du, Maria.«
    Einige der Versammelten bekreuzigten sich und murmelten: »In Ewigkeit Amen.«
    »Nun sag, was du zu sagen hast«, forderte Istvan sie auf.
    Alle schauten gebannt zu Kara, als Marku sich erhob, in die Innentasche seines Mantels griff und ein Papier hervorfingerte. »Um der Genauigkeit willen hat Frau Kara Konstantin ihre Erklärung schriftlich festgehalten. Diese möchte sie vorlesen. Aber nur, wenn sie nicht durch unbotmäßige Zwischenrufe gestört wird. Fragen können im Anschluss an ihre Erklärung gestellt werden. Falls jemand gegen diese Vorgehensweise Einwände erheben will, so tue er dies jetzt.«
    Da Istvan Kallay das Gemurmel als Zustimmung wertete, mahnte er die Zuhörer, Kara auf keinen Fall während ihrer Rede durch Unmuts- oder Beifallsbekundungen zu unterbrechen. Dann erteilte er Kara erneut das Wort. Sie erhob sich und setzte ihre Brille auf. Ich lehnte hinten an einem der Kirchenpfeiler und hielt vergeblich Ausschau nach Dimitru. Aber kein einziger Zigeuner hatte sich in der Kirche eingefunden.
    »So wahr mir Gott helfe, erkläre ich, Kara Konstantin, wohnhaft in Baia Luna, Straße der Freiheit Nummer elf, die Wahrheit zu sagen. Am Mittwoch, dem 6. November, sah ich vom Küchenfenster aus zur Mittagszeit gegen ein Uhr fünfzehn eine Frau durch unser Dorf schleichen. Die Person trug ein schwarzes Kopf tuch, Gummistiefel, einen dunklen Mantel und schaute ständig nach rechts und links wie jemand, der nicht gesehen werden will. Das Wetter war trüb, und es regnete, deshalb konnte ich die Gestalt zuerst nicht deutlich erkennen. Dann aber sah ich, es war die Lehrperson Barbulescu. Zunächst dachte ich, bestimmt hat sie etwas in der Schule

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