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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Gebannt lauschte die Versammlung ihrer Schilderung, wie sie die schlechte Luft in der Hauptstadt wegen ihres Asthmas nicht vertragen habe. Ihre Tante sei daraufhin mit ihr in eine Apotheke gegangen, wo ein grau melierter Herr sie höchst zuvorkommend bedient habe, wie man es in Baia Luna nicht gewohnt sei. Er habe ihr nicht nur hervorragende Medikamente gegen die Atemnot verschrieben, sondern sich auch freundlich nach ihrer Herkunft erkundigt. Sodann habe man sich lange, ja, sehr lange über Baia Luna unterhalten, wobei es sich nicht habe vermeiden lassen, dass die Sprache auch auf diese trunksüchtige Lehrerin gekommen sei.
    »Als ich den unseligen Namen Angela Barbulescu erwähnte, stutzte der Apotheker. >Kennen Sie diese Person ?<, fragte ich. >Ja<, sagte der Mann. >Ja, ich erinnere mich. Aber das ist lange Jahre her. Da kam eine junge Frau mit diesem Namen fast täglich hierher und hat Herzpräparate gekauft. Teure Medizin. Für ihre kranke Mutter namens Trinka.<«
    »Na und! «, warf Karl Koch dazwischen. Kora ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
    »Dann, so vertraute mir der alte Apotheker an, hat diese Angela von heute auf morgen nicht mehr nach diesen Medikamenten verlangt. Stattdessen musste er ihr billige Vitaminpillen zeigen, die exakt so aussehen sollten wie die Herzmittel, die ihre Mutter benötigte. Der Mann erinnerte sich sogar, dass seine Kundin, die immer nur schäbige Kleider anhatte, in den folgenden Wochen ein teures Kleid mit Sonnenblumen trug. Genau das Kleid, in dem sie sich nun selbst am Strang gerichtet hat. Als vergebliche Sühne dafür, dass sie ihrer Mutter nur unwirksame Arzneien untergeschoben hatte, an denen die arme Frau schließlich elendig verstarb. Wie man annehmen darf.«
    Mich durchzuckte ein Schreck. Tatsächlich hatte Angela in ihrem Tagebuch durchscheinen lassen, dass sie eigentlich ein schlechtes Gewissen habe müsse und dass ihre Mutter von den vertauschten Medikamenten nichts bemerkt hatte. Zudem fiel auf, dass in den Jahren nach dem Vertauschen der Medizin der Name Trinka von Angela nie wieder erwähnt wurde.
    »Wer seine kranke Mutter mordet, weil sie beim Lotterleben stört, der tötet auch einen Pfarrer, der sich weigert, die Absolution zu erteilen.« Kora spürte, dass die Stimmung kippte. Zu ihren Gunsten. Wer vorher schon geneigt war, ihren Gerüchten Glauben zu schenken, wähnte sich jetzt bestätigt. Wer ihr Gerede als schwachsinnige Spinnerei abgetan hatte, geriet ins Grübeln. Kora nutzte die Situation.
    »Als die Mörderin Barbulescu Pater Johannes mit ihrem Messer zum Verstummen bringt, sieht sie das Blut an ihren besudelten Händen. Sie rennt zur Vieh tränke auf dem Dorfplatz, um die Spuren ihrer Meucheltat abzuwaschen, aber sie weiß, ihre Seele ist verloren. Rettungslos. Sie wird Satans Braut. Und jetzt vergeht sie sich am Gotte selbst. Sie dringt in die Kirche ein, tanzt mit dem Teufel auf dem Altar und wirft den Ambo mit der Heiligen Schrift um. Dann klettert sie auf einen Stuhl und löscht das Ewige Licht. Auf dem Weg zurück verschmiert sie ihr Monatsblut und stürmt in ihr Haus. Sie zieht ihr obszönes Kleid mit den Sonnenblumen an, greift zu ihrem Freund, dem Schnaps, und steigt in die Berge, um auch die Madonna vom Ewigen Trost mit der Macht teuflischen Zaubers verschwinden zu lassen. Dann richtet sie sich selbst.«
    Die Versammlung schwieg. Ich verspürte den Impuls, aufzuspringen und der Konstantin den Hals umzudrehen. Doch ich registrierte auch die Stimmung in der Kirche. Jede unbedachte Handlung, jedes unkluge Wort würde mich zum Teil dieses idiotischen Wahns machen. Natürlich hatte Angela Barbulescu den Pfarrer nicht ermordet, so wenig wie sie mit dem Verlöschen des Ewigen Lichts etwas zu tun hatte. Doch was blieb mir an Möglichkeiten? Sollte ich aufstehen und die Wahrheit ans Licht bringen? Wer würde mir glauben? Das Verlöschen des Ewigen Lichts jemandem anzulasten, der vor ein paar Wochen ausgewandert war und nun weit weg in Deutschland lebte, das würden alle als billige Schuldzuweisung verstehen, zumal jeder wusste, dass die Familien Botev und Konstantin auf Kriegsfuß standen. Für einen Moment erwog ich, die Lügen der Konstantin mit einer legitimen Gegenlüge zu entlarven, in dem ich selber die Schuld für das Verlöschen des Ewigen Lichts auf mich nahm: Ich war es. Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, doch es hätte der Konstantin den Wind aus den Segeln genommen. Das kranke Gebäude ihres Wahns wäre zusammengestürzt wie

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