Wie die Madonna auf den Mond kam
Parteitags in Kronauburg berichtet wurde. Gegen vier Uhr kündigte der Sprecher die Übertragung der Rede des eigens aus der Hauptstadt eingeflogenen Präsidenten Gheorghiu-Dej an, zuvor sollte die offizielle Begrüßung des Staatsoberhauptes durch den ersten Bezirksparteisekretär Doktor Stephanescu stattfinden.
Ich hatte verloren. Der Kronauburger Parteichef war nicht gestürzt. Stattdessen tönten aus dem Radio die üblichen großen Worte. Ich hatte die Macht der Bilder und meine eigene Macht überschätzt.
Am Montagmorgen bat ich meine Mutter, den Kaufladen zu übernehmen, und lief zu Fuß nach Apoldasch, wo es den Kronauburger Boten zu kaufen gab. Auf drei Doppelseiten berichtete die Zeitung über das Aufmarschspektakel vom Wochenende. Lauter Lobeshymnen auf die Partei. Auf vielen Fotos war der gealterte Staatspräsident Gheorghiu-Dej zu sehen. Und Stephanescu. Er lachte, klopfte Fähnchenschwenkern auf Schultern, schüttelte Hände, nahm Kinder auf den Arm. Stefan Stephanescu saß offenbar fester im Sattel als je zuvor. Dann stutzte ich. Unter dem letzten Bericht fand sich der Hinweis: »Alle Fotos: Irina Raducanu.« Nicht, dass Irina Lupescu zwischenzeitlich ihren Verlobten Raducanu, Major der Sekurität, geehelicht hatte, überraschte mich. Mich verstörte, dass nicht in der Zeitung stand: »Alle Fotos: Heinrich Hofmann.« Eine Woche später ahnte ich den Grund.
In Baia Luna tauchte ein junger Mann auf, der nach einem redseligen Zigeuner sowie einem älteren Herrn mit seinem Enkel, so um die zwanzig, fragte. Man schickte ihn in unser Ladenlokal. Ich erkannte ihn sofort wieder. Es war Matei, der Neffe des Antiquars Gheorghe Gherghel.
»Mensch, was machst du denn hier?«
»Ich muss euch warnen«, sagte Matei. »In Kronauburg geschehen zurzeit beängstigende Dinge, die ich nicht verstehe. Gestern Abend haben sie meinen Onkel verhaftet. Wegen illegaler Geschäfte und Unterstützung der Konterrevolution. So ein Quatsch! Mein Onkel interessiert sich für alles, nur nicht für Politik.«
»Wer hat ihn festgenommen?« Ich kaute nervös auf meinen Lippen.
»Cartarescu, der Polizeichef aus Kronauburg. Und so ein schmieriger Kerl von der Staatssicherheit, der dauernd grinst. Raducanu heißt er.«
»Und was wollten die von euch? Weshalb kommst du zu uns?«
»Sie haben Onkel Gheorghe verhört. Stundenlang. Raducanu fragte dauernd nach den Käufern des Fotolabors. Das Teleskop und die Kamera haben ihn nicht interessiert. Nur das Labor. Cartarescu meinte, der Besitz einer Dunkelkammer sei meldepflichtig, da ohne Kontrolle ungenehmigte und staatsfeindliche Bilder in Umlauf gelangen könnten.«
Ich war völlig verunsichert. »Was, was sollen das denn für Fotos sein?«
»Keine Ahnung. Dieser Grinser faselte etwas vom Kalten Krieg und von den Machenschaften westlicher Geheimdienstler. Die würden von den USA dafür bezahlt, den Sozialismus und die Partei zu schwächen. Offenbar werden irgendwelche Politkader mit Fotografien erpresst, die sie in, sagen wir mal, sehr delikaten Situationen zeigen. Deshalb setzt Raducanu alles daran, sämtliche Besitzer von Rotlichtlaboren ausfindig zu machen. Aber das scheint mir nur ein Vorwand. Wie solltet ihr hier oben in den Bergen Funktionäre in zwielichtigen Momenten ablichten? Das ist lächerlich. Trotzdem, sie sind hinter euch her.«
»Habt ihr ihnen von uns erzählt?«
»Ich nicht«, sagte Matei. »Das kannst du mir glauben. Sie haben mich laufen lassen, weil ich behauptet habe, ich wäre bei dem Verkauf der Geräte gar nicht im Geschäft gewesen. Mein Onkel hat immer nur gesagt, dass ein Zigeuner mit Bart sowie ein älterer und jüngerer Mann, also du, im Geschäft waren. Eure Namen kannte er nicht. Er erinnerte sich auch nicht, wo ihr herkommt, nur irgendwo aus den Bergen. Dann haben sie die Privaträume meines Onkels durchsucht. Sie entdeckten den Fernseher und haben ihn gleich beschlagnahmt. Die werden schon bald hier auftauchen. Der Apparat bringt sie auf eure Spur.«
In mir kroch die Furcht hoch. »Bist du sicher?«
»Ja. Als Raducanu das Gerät sah, grinste er. Mein Onkel holte eure Quittung hervor, um zu beweisen, dass bei dem Tausch damals alles legal zugegangen ist und er keine Hehlerware angenommen hat. Als dieser Sekurist die Quittung in den Händen hielt, grinste er noch mehr. So als würde er das Papier kennen. Aber das kann doch nicht sein. Oder?«
»Doch. Raducanu war mal hier oben. Da wollten sie uns den Fernseher schon einmal wegnehmen, und mein
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