Wie die Madonna auf den Mond kam
Großvater erschöpft auf der Ofenbank nach Luft schnappte. Dann fiel der Druck auch von Kathalina ab.
»Nie, nie wieder«, kreischte sie, »nie wieder lasse ich mich auf euren Wahnsinn ein. Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen. Ich wäre vor Angst fast gestorben.« Sie bebte am ganzen Leib und weinte bitterlich.
Erst am Abend beruhigte sich Mutter, als sie Dimitru, ihrem Schwiegervater und mir das Versprechen abrang, von nun an und für alle Zeiten vernünftig zu sein. Ilja und Dimitru mussten ihr Gelöbnis sogar mit einem heiligen Schwur bekräftigen, mit der Hand auf dem Herzen, im Namen der Dreifaltigkeit. Den Namen der Gottesmutter nur zu erwähnen, hatte ihnen Kathalina verboten.
12
Das Goldene Zeitalter, die Vierte Macht und IIJa Botevs Mission
»Man hat uns vergessen«, sagte Hermann Schuster. »Schlicht und einfach vergessen.« Wie der Sachse waren auch seine Söhne Andreas und Hermann junior, Hans Schneider, der Ungar Istvan Kallay sowie die beiden Petrovs unschlüssig, ob Schusters Beurteilung der Lage als gute oder schlechte Nachricht zu werten war. Auch ich hatte der Meldung, die an einem Frühlingsabend des Jahres '62 aus dem Radio in unsere Trinkstube kam, erst keine Beachtung geschenkt, aber dann horchten wir auf.
Der Nationalkongress prophezeite den triumphalen Sieg des Sozialismus nicht mehr für die Zukunft, sondern proklamierte ihn für die Gegenwart. Der utopische Soll-Zustand mutierte per Dekret zum erreichten Ist-Status.
»Zehntausende Bauern strömten am heutigen Tag in die Hauptstadt, jubelten dem Zentralkomitee zu und dankten der Partei für ihre herausragenden Leistungen. Unter euphorischen Hochrufen gab Präsident Gheorghiu-Dej den erfolgreichen Abschluss der Kollektivierung der Landwirtschaft in Transmontanien bekannt. Landesweit sind damit alle privaten Agr arbetriebe in produktive Staats genossenschaften überführt worden. Wie aus Kreisen des Staatsrats zu vernehmen ist, werden anlässlich der Feierlichkeiten vierzigtausend ehemalige Konterrevolutionäre begnadigt und aus der Haft entlassen. Sie erhalten die Möglichkeit, beim Aufbau der Neuen Nation ihre patriotische Pflicht zu erfüllen.«
»Sozialismus erreicht? Wo denn ?«, fragte Trojan Petrov und grantelte. »Seit Jahren warten wir hier auf diese verdammten Enteigner. Und keiner lässt sich blicken. Die haben uns wirklich vergessen. Hinter Apoldasch ist für den Kommunisten wohl die Welt zu Ende.«
Am 1. des Monats Mai, dem Tag des Internationalen Proletariats, durchschritt Karl Koch das Tor zu seinem Anwesen. Drei Jahre hatte seine Frau Klara mit den Kindern auf ihn gewartet. Alle paar Monate hatte ihr der Postbote eine Karte überreicht, auf der stets dieselbe Nachricht stand. »Ich bin gesund. Das Essen ist gut.«
Als Koch an seine eigene Haustür klopfte, erstarrte Klara für eine Schrecksekunde, dann fiel sie ihm um den Hals und weinte vor Freude. Sie hatte die Rückkehr eines ausgezehrten Mannes befürchtet, doch wider Erwarten hatte sich Karl seit dem Tag, an dem ihn Raducanu und Cartarescu verhaften ließen, äußerlich nicht verändert. »Du musst hungrig sein«, sagte Klara, stellte schwarze Bohnen auf den Küchentisch und setzte sich zu ihm. Er schob den Teller von sich und schaute zu dem Wandspruch auf der bestickten Leinendecke über dem Herd. »Von nichts kommt nichts.«
»Ich bin spät dran. Ich muss meinen Acker bestellen. Wer nicht sät, wird nicht ernten«, seufzte er und ging hinaus in den Hof. Dann drehte er wieder um. »Morgen«, sagte er, »morgen. Heute bin ich zu müde.«
Auch am folgenden Morgen ließ der Sachse sich zwar von Klara eine Brotzeit für die Feldarbeit einpacken, doch er schaffte es nicht, sich aufzuraffen. Als sich diese Prozedur die nächsten Wochen wiederholte, wusste Klara, dass ihr für den Rest ihres gemeinsamen Lebens nichts bleiben sollte als die schmerzliche Erinnerung an den Karl Koch von einst.
Da ich in unserem Ladenlokal im Lauf der Jahre ein feines Gespür für die Veränderung von Stimmungslagen entwickelt hatte, registrierte ich, dass sich das Land in einem Umbruch befand. Alexandru Kiselev, der regelmäßig alle zwei Monate für eine Woche vom Traktorenwerk in Stalinstadt auf Heimaturlaub kam, brachte nicht nur schönes Geld mit nach Hause, sondern auch neue Nachrichten, die von den jungen Männern begierig aufgesogen wurden. Allen voran Hermann Schuster junior. Er machte keinen Hehl daraus, dass er zum Argwohn seines Vaters in der Landwirtschaft keine Zukunft
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