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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Licht.
    Als Buba in den frühen Morgenstunden erwachte, küsste sie mich auf die Lippen.
    »Pavel, etwas Merkwürdiges will mir nicht aus dem Kopf. Etwas, das ich nicht verstehe. Als ich in der Hauptstadt landete, habe ich mich gleich in einen Bus gesetzt, um nach Titan II zu fahren. Das ist das Viertel, in dem meine Sippe lebt, seit der Conducator das Umherreisen unter schwere Strafe gestellt hat. Ich wollte sofort zu Onkel Dimi, doch es dauerte ewig, weil die Straßen wegen der Revolution verstopft waren. Andauernd sprangen Männer in den Bus. Sie riefen: >Freiheit, Freiheit. Nieder mit dem Conducator.< Dabei verteilten sie Flugschriften. Was die Leute forderten, schien mir alles sehr vernünftig, bis ich unter einem der Manifeste den Namen »Doktor Stefan Stephanescu« las. Mir war, als stürze ich in einen Abgrund. Aber nicht wegen dieses bösartigen Mannes und auch nicht wegen Angela, deren Kind und Leben er zerstört hat. Es war nicht der Schmerz über andere. Es war mein Schmerz. Ich wusste nicht mehr, wozu ich da bin und was ich will. Sogar das Schicksal von Onkel Dimi war mir plötzlich gleich. Ich dachte an dich, Pavel. An unsere gemeinsame Nacht. Und es zerriss mir das Herz, dass nichts mehr da war. Ich war uralt. Als ich damals aus Baia Luna fort musste, war ich sehr traurig, aber ich war jung und voller Glauben und Vertrauen, dass eines fernen Tages alles gut wird. Weil das Leben gerecht ist. Aber es ist nicht gerecht. In Baia Luna nicht und in Mailand nicht und sonst wo auch nicht. Einem Zigeuner ist dieser Gedanke unerträglich. Deshalb müssen wir auf den Himmel vertrauen und an die Hölle glauben. Aber wenn der Himmel stirbt, was bleibt dann? Staub zu Staub! Deshalb hat mich Onkel Dimi bei meiner Ankunft so erschreckt. Pavel, ich liebe ihn. Und diese Liebe tut so weh. Er ist kein Zigeuner mehr. Er ist wie ich.«
    Buba kniete nieder und faltete die Hände zum Gebet. Sie schloss mit dem Ave Maria, »bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes«. Dann sprach sie weiter: »Das Merkwürdige, von dem ich dir erzählen wollte, passierte am Morgen nach meiner Ankunft. Ich erzählte meinem Onkel von dem Manifest dieser demokratischen Front zur Nationalen Rettung, in dem für den Nachmittag im alten Königspalais eine Konferenz angekündigt wurde. Als der Name Stefan Stephanescu fiel, sprang Dimi aus seinem Bett auf und rief aus: >Gott im Himmel, tu wenigstens dieses eine Mal einem Schwarzen einen Gefallen. Lass ihn stürzen.< Ist das nicht seltsam?«
    »Das ist es«, sagte ich. »Demnach muss Dimitru Stephanescu gekannt haben. Aber woher?«
    »Deshalb bin ich zu der Konferenz in die Stadt gegangen. Ich musste sehen, was er für ein Mensch ist. Und ich sag dir, wenn du ihn anschaust, wirkt er freundlich, ja, sogar charmant, und wenn er lächelt, dann gewinnt er schnell alle Sympathien. Aber wenn du ihm mit geschlossenen Augen zuhörst, dann packt dich der Frost. Er spricht dich an, aber er meint dich nicht. Er ist hohl. Er füllt die Menschen mit seinem Wortschwall und saugt sie zugleich leer. Ich habe dann abends Onkel Dimi gefragt, ob er glaube, dass Stephanescu böse sei.«
    »Und was hat er geantwortet?«
    »Wieder so etwas, das ich nicht richtig verstehe. Dimi meinte, das zu entscheiden, übersteige seine Befugnisse und sei eine Angelegenheit zwischen Stephanescu und dem Herrgott beim Jüngsten Gericht. Er selber wisse nur, dass dieser Mann einen Dämon in sich trage. Wer seine Schritte stört, den würde er töten. Aber mein Onkel sagte noch etwas. Er hat mich gewarnt. Er hat mir sogar verboten, etwas gegen Stephanescu zu unternehmen oder gar gegen ihn zu kämpfen. Er sei zu schlau, der gefährlichste Feind, den man sich vorstellen könne. Dann hat Dimi gebetet. Deine Tante sagte mir, das habe er zuletzt gemacht, als sie noch mit dem Kutschwagen auf der Suche nach deinem verschollenen Großvater übers Land gezogen waren. Dimi betete sehr lange. Er sprach in einer fremden Sprache, die manchmal so klang wie Italienisch. >Papa Baptiste, Papa Baptiste<, war das Einzige, was ich verstanden habe. Mein Onkel flehte zu der Seele des ermordeten Pfarrers. Danach legte er sich schlafen. Als er wieder aufwachte, erzählte er mir, es gebe nur eine einzige Möglichkeit, den Doktor zu besiegen.«
    »Die würde ich gern kennen«, sagte ich mit eiserner Entschlossenheit.
    »Wir müssen den Moment seines Triumphs abwarten und dann seine Waffen gegen ihn selber richten. Dimi sagt, wenn der Dämon an den

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