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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Kraft auf, um Petre von Fritz fortzureißen. »Nein, Petre. Hör auf! Es war alles anders. Fritz hatte mit dem Verrat an Baptiste nichts zu tun. Hundertprozentig nicht. Es war Stephanescu.«
    Petre brach seinen Angriff ab.
    »Was soll ich gemacht haben? Ich soll Baptiste verraten haben?«, fragte Fritz ungläubig. »Sagt mal, habt ihr sie noch alle beieinander?«
    »Pavel hat früher behauptet, du und dein Vater, ihr hättet den Pfarrer der Sekurität ans Messer geliefert, weil er gegen den Scheiß sozialismus und die Kollektivierung predigen wollte. Dann hast du dich nach Deutschland aus dem Staub gemacht.«

»Quatsch«, tönte ich und errötete bis unter die Kopfhaut. »Petre. Das hast du falsch verstanden.«
    Fritz setzte sein unverschämtes Grinsen auf, das ich von den gemeinsamen Schultagen her kannte. »Also steht es jetzt eins zu eins. Du hattest den Ärger mit dem Ewigen Licht, der Verrat geht auf mein Konto. Also unentschieden. Okay?«
    »In Ordnung«, sagte ich, als mir jemand auf die Schulter tippte.
    »Du wirst noch genauso schnell rot wie früher.« Ich drehte mich um.
    »Buba? Nein! Doch! Du! Du bist hier?«
    Ich staunte Buba von oben bis unten an und sah, dass Fritz recht gehabt hatte. Sie war anders. Sie fügte sich nicht ein in das verblasste Bild, das mir als trüber Erinnerungsrest aus meiner Jugend geblieben war, und doch erkannte ich in ihr jene Buba, die mir einst so vertraut war. Sie war schön. Sie hatte ein wollenes Tuch über die Schultern geworfen, das sie vor der winterlichen Kälte schützte und ihr zugleich etwas Leichtes, gar Schwebendes verlieh. Die Falten um ihre Augen ließen ihren Blick leuchten, und sie strahlte eine Wärme aus, die mich nicht etwa erfreute, sondern ängstigte. Als Buba wie beiläufig ihre schwarzen Locken aus ihrem Gesicht strich und mit ihren feinen Fingern an einem goldenen Ohrring zupfte, steckte ich vor Verlegenheit meine Hände in die Hosentaschen.
    Ich erschrak. Meine abgetragene Jacke, meine verschlissene Hose und die zertretenen Schuhe waren weit mehr als nur billige Kleidung. Sie zeugten von einer Schäbigkeit, die im Lauf der Jahre den Weg von außen nach innen gefunden und sich meiner selbst bemächtigt hatte. Ich hätte mich am liebsten verkrochen. Ich stand einer Frau gegenüber, die wusste, dass sie eine Frau war. Aber ich war kein Mann, der sich ihrer für würdig befand. Verzweifelt versuchte ich, mich zu erinnern, dass es Buba Gabor gewesen war, die mir in der wunderbarsten Stunde meines Lebens sich selbst geschenkt hatte. Sie war da, doch ich war verschwunden.
    »Bi-bi-bist du wegen Stephanescu hier?«, stammelte ich, um meine Scham zu verbergen.
    »Nein. Das heißt, nicht eigentlich. Ich bin erst vor zwei Tagen aus Mailand hier gelandet. Deine Tante Antonia hat mir eine Nachricht zukommen lassen. Wegen Onkel Dimitru. Es wird seine letzte Weihnacht. Onkel Dimi wird sterben. Aber Antonia hat mir geschrieben, er kann noch nicht. Etwas fehlt noch. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich musste aus Italien zurückkehren, damit er sich auf sein Ende freuen kann. Deshalb bin ich hier. Und du?«
    Jemand stieß mich zu Boden. Im Foyer breitete sich Unruhe aus, die sich binnen weniger Augenblicke zur Panik steigerte. Draußen peitschten wieder Schüsse durch die Straßen. Zuerst nur vereinzelt, dann ratterten unmittelbar vor dem Interconti die Maschinengewehre, Querschläger ließen die Fensterfront zersplittern, Sirenen heulten, Menschen rannten schreiend um ihr Leben und strömten in die Halle.
    Fritz schob sich einen Kaugummi in den Mund und hängte seine Fotoapparate um. »Wir sehen uns später.«
    Als ich mich aufrappelte, trugen Aufständische einen Schwerverletzten herein. Behutsam legten sie den Mann auf den Boden. Beklommen wendeten die Umstehenden sich ab. Niemand konnte noch etwas f ür das Opfer tun. Sein Oberkör per war fast gänzlich von seinem Unterleib abgetrennt, doch seine Augen flackerten noch. Der Mann war etwa in meinem Alter, und als ich in sein Gesicht sah, unterdrückte ich einen Aufschrei des Entsetzens. Ich schuldete diesem Mann etwas. Ich kniete nieder und griff seine schlaffe Hand, aus der die letzte Wärme wich.
    »Matei, ich danke dir«, flüsterte ich dem Neffen des einstigen Kronauburger Antiquars Gheorghe Gherghel zu. Matei gab keine Regung von sich. Ich bekreuzigte mich und schloss dem treuen Verbündeten, der mich einst vor dem Sekuristen Raducanu gewarnt hatte, die Augen.
    »Ich möchte Dimitru sehen«, sagte ich zu

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