Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
Vom Netzwerk:
Buba.
    »Du wirst ihn sehen. Ich werde dich zu ihm führen und zu deiner Tante. Du wirst dich erschrecken. So wie ich. Aber vorher haben wir noch etwas zu erledigen. Das heißt«, Buba zauderte bei dem Nachsatz, »ich weiß nicht, ob ich bei uns überhaupt noch von einem Wir reden darf?«
    Verunsichert sprudelte ich heraus: »Ich habe Fritz im Fernsehen erkannt. Da musste ich los. In Baia Luna kriegt man von der Revolution nichts mit.«
    »Du bist also wegen deines Schulfreundes hier. Na ja, weshalb solltest du mich auch ausgerechnet jetzt suchen? Wo du dreißig Jahre lang nicht nach mir gesucht hast. Da darf ich wohl annehmen, dass ... «
    »Aber du, du hast auch nichts von dir hören lassen«, fiel ich ihr ins Wort. »Du bist doch schließlich auch nur wegen deines Onkels zurückgekehrt! «
    »Willst du etwa mit mir zanken? Überleg dir das gut. Was weißt du schon? Von mir. Weißt du nicht, dass ein Mann eine Frau sucht, aber die Frau den Mann findet? Streite bloß nicht mit mir darüber. Streiten kann ich besser. Das habe ich in Italien gelernt. Ich sag dir, jeder Kerl, der mich ohne zu zahlen begrapscht hat, hat sich eine Ohrfeige eingefangen, dass er heulend zu seiner Mama gelaufen ist.«
    Ich wusste vor Sprachlosigkeit nichts zu erwidern.
    »Aber was weißt du schon vom Leben in Italien? Seit zwei Tagen sitze ich in diesem miesen Hotel und habe gehofft, dass du mich suchst. Onkel Dimi hat gesagt: >Buba, das Träumen lohnt nicht. Und in diesen Zeiten schon gar nicht. Schlag dir den Pavel aus dem Kopf. Der klebt an seinem Baia Luna.< Weißt du eigentlich, dass Dimi dir vertraut hat? Er hat dich geliebt. Wie seinen Sohn. Ja, viel, viel mehr noch. Ich war noch ein Mädchen, da hat er mir gesagt: >Der Pavel, das ist der Richtige für dich. Der Pavel Botev, der kann etwas, was sonst kein Gadscho jemals zustande bringt. Der kann die Welt auf den Kopf stellen.< Jawohl, das hat mein Onkel genauso gesagt. Aber du, du ... «
    »Halt die Klappe«, herrschte ich sie an. »Du weißt auch nichts. Drei Jahrzehnte eingesperrt in einem gottverdammten Goldenen Zeitalter. Hast du eine Ahnung, was das heißt? Wie willst du die Farben sehen, wenn alles grau ist? Wie willst du die Welt auf den Kopf stellen, wenn sie vor lauter Irrsinn längst kopf steht? Wie willst du noch wissen, wo oben und unten ist, wenn alles verdreht und verkehrt ist?« Ich griff unter meine Jacke und zog die grüne Kladde hervor. »Deshalb bin ich hier! Nicht, um die Welt auf den Kopf zu stellen, sondern wieder auf die Füße. Ich habe Stephanescu im Fernsehen gesehen. Wie er die Nationale Rettung ausrief. Buba, in diesem Land müssen wir alle gerettet werden. Aber nicht von diesem Menschen.«
    Buba senkte den Blick. »So ähnlich hat Onkel Dimi gestern auch zu mir gesprochen.« Wie ein verschüchtertes Mädchen tastete sie zaghaft nach meiner Hand. »Das Tagebuch. Du hast Angela also nicht vergessen.«
    »Doch, Buba. Ich habe seit Jahren nicht mehr an sie gedacht.
    Alles, was mir früher einmal lieb war, hat sich verflüchtigt. Zuletzt die Kraft zu kämpfen. Ich hatte nur die Erinnerung dar an, dass alles einmal lebendig war, dass ich lebendig war. Manchmal habe ich versucht, dich zu rufen. Aber da war kein Bild. Die Erinnerung war noch da, aber sie war tot. Was ist bloß mit mir los? Warum musste erst dieser Fiesling von Stephanescu auf dem Bildschirm erscheinen, um mich wachzurütteln?«
    Sie schaute mich an. Ich fühlte den Schmerz flüchtigen Glücks, als mir Buba über die Wange strich.
    »Du bist ein feiner Mensch«, sprach sie leise. »Denn du hast nicht vergessen, dass du vergessen hast. Komm mit! Dies ist kein guter Ort.«
    Sie fasste mich am Arm und zog mich nach draußen, weit weg, wo keine Menschen mehr umherirrten, in deren düsteren Mienen sich die Furcht, die Hoffnung und die Ungewissheit spiegelten. Es war bereits dunkel, und es war bitterkalt. Zwischen Häuserschluchten, in denen sich die letzten Gewehrschüsse des vorletzten Revolutionstages verloren, gingen wir Hand in Hand durch die Nacht des 24. Dezember 1989. Wir erzählten uns voneinander, indem wir schwiegen.
    Als unsere Füße schmerzten, entdeckten wir eine Kirche, deren Pforten geöffnet waren und in der einige Frauen in Schwarz Doamne miluieste, Doamne miluieste murmelten. Herr erbarme dich. Gegen Mitternacht saßen wir allein auf einer der hinteren Bänke, umschlungen von hungrigen Armen und gewärmt von Bubas Wollplaid. Wir schliefen. Neben dem Altar flackerte ein kleines rotes

Weitere Kostenlose Bücher