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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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verboten. Ausflüge in das Weltall sind eine Todsünde wider den Geist schlechthin. Der Mensch hat in der Unendlichkeit des Firmamentes nichts anderes zu suchen als den allmächtigen Schöpfer.«
    »Sic est«, bestätigte Dimitru. »Ein wahrhaft wahres Wort.« »Was kümmert das Sozialistengesocks die Gebote des Herrn«, tobte der Sachse Schuster. »Sie versuchen Gott«, schimpfte er und proklamierte lauthals: »Zur Hölle mit den Kommunisten«, woraufhin es Roman, den mittleren der Brancusi-Brüder, nicht länger auf seinem Stuhl hielt.
    »Va-va-vaterlands-va-va-rä-ä-ä-ter«, schrie er Schuster entgegen, stotternd, wie immer, wenn ihn die Erregung übermannte. Roman stürmte auf den Sachsen los und zertrümmerte mit den Worten »va-va-va-fluchter Hitlerist« eine leere Flasche Silvaner auf dessen Kopf. Schuster zuckte kurz. Dann kippte er um wie ein nasser Sack. Während sich einige Männer um den Bewusstlosen kümmerten und ihn hinaus ins Freie trugen, gelang es Großvater mit größter Mühe, die aufgebrachten Gäste von den Brancusis fernzuhalten.
    »Ihr werdet noch von uns hören«, drohten die drei. Dann suchten sie schleunigst das Weite.
    Benommen von dem Schlag auf seinen Schädel, kam Hermann Schuster allmählich wieder zu Sinnen. Begleitet von Kristan Desliu, Karl Koch und mir schleppte er sich durch den Regen nach Hause. Erika Schuster erbleichte, als sie ihren Mann erblickte, auf dessen Stirn sich eine dicke Beule blähte. Sie setzte Teewasser auf und wickelte ihrem Mann nasse Tücher um die Stirn. Hermann Schuster riss den Verband herunter, schob seinen Kamillentee beiseite und tat so, als sei in der Schankstube nichts Besonderes vorgefallen.
    Nach der Schlägerei leerte sich unser Wirtshaus. Misslaunig und nüchtern zogen die meisten Männer heim. Die Uhr zeigte nicht einmal sieben. Iljas Feier zum fünfundfünfzigsten Geburtstag war vorbei, ohne richtig begonnen zu haben.
    Großvater verstand die Welt nicht mehr. »Satelliten umkreisen die Erde, und wir Menschen fliegen aus der Bahn. Pavel, glaub mir, die Ordnung der Dinge, sie gerät aus den Fugen. Der Strudel des Unheils, er wird wieder mächtig.«
    Ich konnte Großvaters Gedanken lesen. Ich wusste genau, wohin sie in diesem Moment schweiften. Zu seinem Sohn Nicolai, meinem Vater. Schon einmal hatte Großvater den Sog des Verderbens erlebt, damals, als der Führer in Berlin mit seinen geifernden Tiraden die Sachsen an die Lautsprecher der Radioempfänger gelockt hatte, woraufhin selbst friedfertige Nachbarn für die Wahnidee entflammten, ihr Kanzler werde sie heimholen ins Reich ihrer Vorfahren. Es kam anders. Es gab einen Krieg, der seinen Schatten bis nach Baia Luna warf, wobei mein Vater auf der falschen Seite stand. Und er ließ sein Leben, weil er glaubte, er stehe auf der richtigen.
    Im Herbst 1940 waren die Einheiten der Wehrmacht in Transmontanien einmarschiert. Als Verbündete gegen Stalin. Losgerannt waren sie, die jungen, die besten Burschen aus Baia Luna, vorneweg Karl Koch, der Schuster Hermann und der Schneider Hans. Und Nicolai Botev. Freiwillig hatten sie sich gemeldet für den bevorstehenden Feldzug gegen den Sowjet. Einen glorreichen Sieg über die Bolschewiken wollten sie erringen, wollten Panzer und Kanonen der Gottlosen vom roten Stern wieder umschmelzen in Glocken, die vom Sieg des Kreuzes über den Kommunismus künden sollten.
    Der Krieg hatte in meiner Erinnerung keine Spur hinterlassen. Ich war zwei Jahre alt, als er endete. Doch für Großvater dauerte er an. Er lebte mit einem Verlust. Er hatte seine Zukunft verloren, Nicolai, seinen einzigen Sohn. Ich glaube, es war seither kein Tag verstrichen, an dem Ilja nicht an ihn dachte, auch wenn Schwiegertochter Kathalina und ich ihm geblieben waren. Natürlich auch seine Tochter Antonia. Ich weiß, dass Großvater wünschte, Antonia hätte sein Haus längst verlassen. Von Herzen ersehnte er für sie einen anständigen Mann. Doch mit der Aussicht auf eine neue Familie und weitere Enkelkinder sah es nicht gut aus. Eine verkorkste Liebesgeschichte, über die niemand sprach, hatte meine Tante solchermaßen aus der Bahn geworfen, dass sie sich in Gleichmut und Trägheit flüchtete. Die Buchführung und die Schreibarbeiten für den Kaufladen erledigte sie gewissenhaft, doch damit erschöpften sich ihre Pflichten im Haus. Meistens lag sie im Bett, tröstete sich mit Pralinen und Süßkram über ihren Kummer hinweg und sah ansonsten unbeteiligt zu, wie ihr üppiger Leib mit jedem Tag

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