Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
Vom Netzwerk:
Wissenschaften zu studieren, kaut die Jugend von morgens bis abends klebrige Gummis, die das Antlitz des Menschen wandeln in das dumme Gesicht einer wiederkäuenden Kuh.«
    Einige Männer lachten und zeigten auf Großvaters Bonbonniere. Er unterbrach sie mit einem harschen »Mund halten«. Sodann hörte man aus den Lautsprechern Hundegebell, das nicht übersetzt wurde. Der Kommentator erläuterte, das Gebell sei eine Originalaufnahme der Hündin Laika, die, mit der Kraft von einer halben Million Kilopond in die Schwerelosigkeit des Alls geschossen, nun in der Weltraumkapsel Sputnik zwei die Erde umkreise.
    »Unglaublich«, rief Alexandru Kiselev, der künftige Getriebemonteur im Traktorenwerk von Stalinstadt. »Einfach unglaublich. Eine halbe Million Kilo. Welche Kraft!«
    »Das entspricht der Stärke von sechsundsechzigtausendsechshundert-sechsundsechzig Pferden«, rechnete Großvater. »Dummes Zeug! Propagandalüge! Russenmist!«
    Zornesrot sprang Hermann Schuster von seinem Stuhl auf und riss das Stromkabel aus der Steckdose. Der Fernseher knackte, und die Mattscheibe wurde schwarz.
    »Scheiß auf die Russen.« Auch Petre Petrov geriet in Rage. »Die feuern Milliarden in den Weltraum, und unten auf der Erde müssen die Leute Gras fressen. Und uns wird es genauso gehen mit diesen verdammten Kollektivisten.«
    »Und das neue Traktorenwerk? Wer hat das gebaut, wenn nicht die Partei, du Grünschnabel?«, entgegnete Alexandru Kiselev. »Sag mir, wie soll ich eine Frau und sechs Kinder satt bekommen? Hier in diesem Nest. Erklär mir, wie man von zwei Kühen und ein paar Säuen hier noch leben kann? Jetzt, da der Winter kommt. Wenn du einen Weg kennst, raus aus diesem Elend, du Bengel, dann sag es. Sonst halt lieber dein vorlautes Maul.«
    Petre raunte mir zu, um etwas gegen die Armut zu tun, solle Alexandru nicht ständig seiner Alten einen dicken Bauch pfeffern. Doch Petre wusste sehr wohl, dass eine solche Bemerkung, laut ausgesprochen, einem Siebzehnjährigen im Kreis von Männern nicht zustand.
    Die Brancusis und der Eisenschmied Simenov spendeten den Worten Kiselevs stürmischen Beifall. »Wir verweigern uns dem Fortschritt und verteidigen unsere Rückständigkeit«, sagte Liviu. »Jeder im Dorf beackert sein eigenes Feld, und die Ernte reicht kaum zum Überleben. Wir quälen uns hinter den Pflügen unserer Ackergäule, wo die Partei längst Traktoren produziert. Wir haben die besten Weiden, doch wir verkaufen keinen einzigen Liter Milch. Wohin auch? Nach Apoldasch führt nur ein holpriger Feldweg, doch überall im Land baut die Partei neue Straßen. Nur wir laufen noch immer zu Fuß, wo andernorts längst der Omnibus fährt. Von unserer Schule gar nicht zu reden. Sechzig, siebzig Kinder in einem Schulraum, unterrichtet von einer ideologisch ungefestigten Lehrperson. Dabei sind Kinder die Zukunft. Wollen wir, dass unsere Jugend so endet wie in Amerika? Gummi kauend, selbstsüchtig, verdorben vom Müßiggang. Genosse Chruschtschow hat recht.«
    Liviu Brancusi spürte, die Schulungstage der Politkader hatten etwas gebracht. Die Stimmung in der Schankstube kippte. Zu seinen Gunsten.
    »Warum orientieren wir uns nicht an den Erfolgreichen?
    Warum bleiben wir auf der Seite der Verlierer der Geschichte? Stehen wir lieber Seite an Seite mit den Gewinnern! Ich sage euch, von der Sowjetunion lernen heißt: siegen lernen! Der Sputnik ist das Ergebnis des siegreichen Kampfes um den Fortschritt.«
    Damit gab Liviu das Stichwort für seinen Bruder Nico. »Hör mal, du Schlauschwätzer«, wandte er sich selbstgefällig an Dimitru. »Jetzt zu dir und deinem reaktionären Sputnik-Gequatsche von gestern Abend. Dass der Sputnik mit seinem Gepiepe die Menschen um den Verstand bringt, ist das Dümmste, was je behauptet wurde.«
    »Quod erat demonstratum«, entgegnete Dimitru schnippisch.

»Schweigt still! Ihr zankt, wie Blinde mit Leuten streiten, die nicht sehen!« Die Männer blickten hinüber zu Johannes Baptiste.
    »Am kommenden Sonntag«, kündigte er an, »werde ich mich den drängenden Fragen der Gegenwart stellen. Von der Kanzel herab. Und dazu erwarte ich jeden in der Kirche. Egal, ob Katholik, Kommunist oder ungetauft.« Johannes Baptiste zeigte auf Iljas Fernseher. »Was wir aus diesem Gerät gehört haben, das ist der Anfang vom Ende. Die Unheilsbüchse ist geöffnet, und ich sage euch, die Grenze ist überschritten. Raumflüge jedweder Art, ganz gleich, ob mit Hund oder mit Mensch, gehören in principio und ex cathedra

Weitere Kostenlose Bücher