Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
Vom Netzwerk:
weiter anschwoll.
    Ich war bereits fünfzehn, bald lag die Schule hinter mir.
    Großvater fragte mich die letzte Zeit häufiger, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Ich wusste es nicht.
    »Herr Wirt, noch ein Gläschen?«
    Dimitru holte uns ins Leben zurück. Er saß auf der Eckbank am Ofen neben Johannes Baptiste und meinem Schulkameraden Fritz. Großvater tischte Silvaner und Zuika auf, während ich in die Vorratskammer ging, um Besen und Kehrblech zu holen. Ich fegte die Scherben der Flasche auf, die Roman Brancusi am harten Schädel Hermann Schusters zerbrochen hatte, und setzte mich dann zu der ungleichen Gesellschaft.
    »Pavel, du hast frei«, sagte Opa. »Die Schänke ist geschlossen.«
    Ich schaute zu Fritz hinüber, der zu verstehen gab, nicht nach Hause zu wollen.
    »Wir möchten noch bleiben«, sagte ich. »Es ist noch früh.« Fritz nickte, und Pfarrer Johannes meinte: »Die Jugend ist mir immer recht.« Großvater widersprach nicht.
    Ich vernahm nur das Ticken der Uhr, deren Stundenzeiger gerade die Sieben überschritt. Johannes Baptiste ließ die Daumen seiner Hände umeinanderkreisen, eine Gewohnheit, die verriet, dass er nach einem treffenden Anfang suchte. Dann räusperte er sich.
    »Dimitru, du glaubst also, hinter diesem Sputnik steckt eine krumme Geschichte, die niemand durchschaut?« »Absolut!«
    »Und welche düstere Machenschaft siehst du am Werk?« Dimitru druckste um eine Antwort herum. »Ich bin sehr nah dran an der Conclusio, wenn ich nur ... «
    »Also, du weißt nichts«, bügelte ihn Baptiste ab. »Sagt dir der Name Sergej Pawlowitsch Koroljow etwas?«
    »Ein Russe, leite ich mal ab.«
    »Ukrainer«, sagte Johannes Baptiste. »Eine Koryphäe der Raketentechnik. Der Beste. Koroljow entwickelt seit Jahren mit Tausenden von Ingenieuren ein geheimes Programm zur bemannten Raumfahrt. Schlimm, sehr schlimm. Und seit heute wissen wir«, Baptiste zeigte auf den Fernseher, »der Sputnik ist nur eine Vorstufe menschlichen Allmachtswahns. Nach dem Stand der Dinge ist es den Bolschewiken tatsächlich gelungen, die gewaltigen Anziehungskräfte der Erde zu überwinden. Wider die Natur. Erst ein Hund, dann ein Affe, dann der Mensch. Aber ich sage euch, eine Himmelfahrt ist getreu der Heiligen Schrift nur dem Herren Christ vorbehalten. Ansonsten war nach dem göttlichen Heilsplan bislang nur einem einzigen Menschen aus Fleisch und Blut die leibhaftige Aufnahme in den Himmel vergönnt. Und wie du sehr genau weißt, Dimitru, war dies die Jesusmutter Maria. So hat es Papst Pius in Rom 1950 in dem geheimnisvollen Dogma festgeschrieben.«
    »Sic est«, bekräftigte der Zigeuner.
    »Zurück zu Koroljow. Was dieser schlaue Ukrainer vorhat, das brennt mich schon. Es brennt mich sogar sehr. Was will der sowjetische Ingenieur Nummer eins in der Einöde des Firmaments? Das ist die spannende Frage. Wobei die Antwort freilich noch viel spannender ist.« Der Priester nahm einen Schluck Wasser. »Ihr habt es heute aus dieser flimmernden Unheilskiste vernommen. Aus Chruschtschows Mund. Der Sowjet will Kosmonauten in den Himmel schicken und die Kommunistenflagge auf dem Mond hissen.«
    »Na und? Es sei ihm gegönnt«, schnitt Fritz dem Priester rotzig das Wort ab.
    »Du bist also der Hofmann Fritz, der Bursche, der eben die Idee mit dem Antennendraht hatte. Ein gewiefter Kerl, ganz sicher, obwohl ich dich noch nie in der Kirche gesehen habe. Aber du neunmalkluges Früchtchen solltest schweigen, wenn ein alter Mann von Dingen redet, von denen du nicht den Schimmer einer Ahnung hast.«
    Fritz versuchte zu verbergen, wie sehr ihn die Zurechtweisung traf, als der Benediktiner fortfuhr: » Wenn ich recht informiert bin, arbeitet Koroljow mit einem Mann zusammen, der Juri Gagarin heißt. Als Chruschtschow im vergangenen Jahr zum Generalsekretär aufstieg, wurden Koroljow und Gagarin im Politbüro vorstellig. Sie breiteten ihre Raketenpläne auf Chruschtschows Schreibtisch aus und verlangten Geld für ein titanisches Weltraumprogramm. Sehr viel Geld.«
    »Und sie haben es bekommen«, warf Dimitru ein. »Wahrscheinlich sogar dupliziert. Das Militär legte, wie ich vermute, bestimmt noch einen ordentlichen Batzen drauf.«
    »Jedenfalls darf Koroljow Raketen bauen, so viele er will.
    Allerdings nur unter strengster Geheimhaltung in der Verlorenheit der kasachischen Steppe und nur unter der Bedingung, dass er niemals das Wort >Himmelfahrt< ausspricht. Er darf immer nur verschlüsselt von >dem Projekt< sprechen. Wenn nicht«,

Weitere Kostenlose Bücher