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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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komplizierter. Er lebte, litt und starb als Mensch, und er stand auf als Erlöser. Als solcher ist er durchaus sichtbar. In der Gestalt des geweihten Brotes und im Glanz des Ewigen Lichtes, das in unserer Kirche bei Tag und bei Nacht von der Anwesenheit der göttlichen Allmacht zeugt. Doch was ist mit Maria? Maria war Mensch, und sie blieb Mensch, im Tod und über den Tod hinaus. Das hat Papst Pius, den ich ansonsten nicht sonderlich schätze, treffend erkannt. 1950, fünf Jahre nach dem Krieg, erließ er die Apostolische Konstitution Munificentissimus Deus. Da heißt es ungefähr: >Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die unbefleckte, allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.< Das bedeutet, nicht nur Marias Geist, sondern auch ihr Fleisch und Blut sind im Himmel. Nun stellt euch vor, was dieser vatikanische Glaubenssatz für einen Materialisten bedeutet: die Herausforderung schlechthin. Wenn das Dogma wahr ist, dann ist diese Jüdin aus Nazareth Koroljow zuvorgekommen. Die erste Himmelfahrt der Geschichte, die erstmalige Überwindung der Schwerkraft. Ohne Rakete. Deshalb will der Russe Kosmonauten zu den Sternen schießen. Sie müssen die Antwort finden auf die alles entscheidende Frage nach Gott. Existiert die sichtbare Muttergottes, dann existiert logischerweise auch der unsichtbare Schöpfer aller Dinge. Und das weiß niemand besser als der Ingenieur Nummer eins.«
    »Oh heilige Scheiße«, heulte Dimitru. »Das sieht nicht gut aus. Schlechte Nachrichten für die Katholischen. Und noch schlechtere Nachrichten für die Zigeuner. Maria ist unsere Mutter! Unsere Königin! Unsere Fürsprecherin am himmlischen Thron! Mater Regina der Miserablen! Ohne sie läuft nichts beim Herrgott. Oh, oh, ich sage euch, wenn Koroljow die Madonna findet, dann Gnade uns Gott. Warnte ich nicht zeitig, mit dem Sputnik werde das Unheil seinen Lauf nehmen? Aber auf einen Schwarzen hört ja niemand. Wurde ich nicht ausgelacht? Gelästert? Verspottet? Bespuckt? Aber ich prophezeie hier und heute, was als Gepiepe begann, wird im Desastrum enden.«
    »Moment, Moment. Nicht so voreilig«, warf Großvater ein. »Es gibt einen Weg, Koroljow zu stoppen.«
    »Eine solche Möglichkeit vermag ich nicht zu sehen«, wandte Pater Johannes ein.
    Dimitru trank und bestätigte: »Wo das Nichts waltet, bleibt selbst der Seher blind.«
    »Ganz einfach«, sagte Großvater unbeirrt. »Der Amerikaner muss dem Russen zuvorkommen. Er darf sich von diesem Sputnik-Gepiepe nicht verrückt machen lassen. Er muss einen kühlen Kopf bewahren und selber Raketen bauen. Bessere als der Russe. Raketen, die weiter und höher fliegen. Immerhin haben die Vereinigten Staaten von Amerika der Jungfrau Maria gegenüber gewisse Verpflichtungen. Schließlich beschützt sie die Stadt Nuijorke vor feindlichen Angriffen. Deshalb wird es für den Ami Zeit, Maria seinerseits zu schützen.«
    Dimitru erhob sich, langsam, gezeichnet vom Trunke. Er schwankte, fing sich und fiel Ilja um den Hals.
    »Das ist es! Amerika baut Raketen und rettet die Madonna.
    Und der Sowjet beißt sich in den Arsch. Warum bin ich nicht selber daraufgekommen ? Das wäre die Lösung!«
    Ilja fühlte sich ermutigt, seinen Freund zu korrigieren: »Das wäre nicht die Lösung, Dimitru. Das ist sie.«
    4
    Das Ewige Licht, blond e Haare im Wind und eine Frist v on drei Tagen
    »Zeit zu gehen«, sagte Johannes Baptiste und nahm seinen Gehstock. »Bis Sonntag. Zur Predigt. Es wird Zeit, den Kollektivisten die Stirn zu bieten.«
    Er klopfte mit dem Stock auf das Fernsehgerät, grummelte etwas von einer Apparatura diavoli non grata, deren Anwesenheit jede friedliche Schankstube in eine Spelunke der Streitsucht verwandele, und deutete auf das Geburtstagsgeschenk in dem braunen Päckchen, das Ilja neben der Registrierkasse abgelegt hatte.
    Großvater bot dem Priester den Arm und diente sich an, ihn zum Pfarrhaus zu begleiten. Doch Baptiste winkte nur mürrisch ab, bevor sich sein schwerfälliger Schritt in der Schwärze der Nacht verlor.
    Fritz und ich standen ebenfalls auf. Ich gähnte, doch ich war nicht müde. Mir war nach Bewegung, nach frischer Luft. Fritz schwieg. Wie ein Schraubstock presste er die Lippen zusammen. Der Groll über die Zurechtweisungen durch den Priester gärte in ihm.
    Dimitru langte nach der Flasche mit dem Zuika und hielt sie gegen das Licht der

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