Wie die Madonna auf den Mond kam
dabei schnippte Baptiste seine Finger wie eine Schere, »schneiden sie ihm die Zunge ab.«
»Aber warum will der Chef der Sowjets Zungen abschneiden? «, mischte sich Großvater ein. »Wegen einer Russenflagge auf dem Mond, die von hier unten sowieso niemand sieht?«
»Vergiss die Fahne«, erwiderte Johannes Baptiste. »Die soll nur die Amerikaner ärgern und ihnen die Überlegenheit der Sowjets vor Augen führen. Aus Eitelkeit. Deshalb sendet der Sputnik auch diese Funksignale. Vom Standpunkt der Wissenschaft macht das Gepiepe keinen Sinn. Der Sputnik verkündet im Grunde nur: Hört, hört. Es gibt mich. Ich bin hier oben. Damit treibt Chruschtschow seinen Kontrahenten Eisenhower selbstverständlich zur Weißglut und demonstriert den Amerikanern, dass die Ingenieure der Bolschewiken schneller, fortschrittlicher und klüger sind. Bedenkt, wir befinden uns in der weltpolitischen Phase eines Kalten Krieges, der mitunter recht heißblütige Scharmützel auslöst. Selbst in Baia Luna. Wovon der brummende Schädel unseres wackeren Schuster Hermann zeugt. Zweifellos will der Kreml im Wettlauf der Systeme gegen die kapitalistischen USA das Rennen machen. Aber das ist nicht der Kern des Problems. Das Wesen einer Himmelfahrt ist von ganz anderer Art. Und ich behaupte, Koroljow weiß das.«
Pater Johannes verlangte nach frischem Wasser und machte eine Pause, ich schätze, um uns Zuhörern die Gelegenheit zur Nachfrage zu geben. Die blieb aus, und er sprach weiter: »Ich sehe die Welt nicht mit den Augen der Politik, sondern als Seelsorger. Und das umso deutlicher, als ich spüre, dass meine Tage gezählt sind. Und was ich sehe, macht mir Sorgen. Große Sorgen. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Das sind die Grundfragen der menschlichen Existenz. Die Erde kennt darauf nur eine Antwort: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Da ist kein Gott, und da ist kein Himmel. Aber ich glaube an die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Ich glaube an den Himmel. Und daran, dass da oben noch jemand ist.«
»Laika, dieser Hund?«, warf ich ein.
»Vergiss den Kläffer. Nein, Pavel, ich meine eine Frau. Ich erwähnte bereits jenen geheimnisvollen vatikanischen Glaubenssatz von der leiblichen Aufnahme der Gottesmutter Maria in den Himmel. Ahnt ihr jetzt, warum Koroljow Raketen baut? Der Grund, wesha lb die Sowjets Kosmonauten zum F irmament schießen wollen, ist eine derart vertrauliche Verschlusssache, dass nur Chruschtschow, Koroljow und dieser Gagarin darin eingeweiht sind. Sie suchen die Antwort auf die Frage:
Existiert Gott?«
»Oh, mein Gott«, stöhnte Dimitru und hämmerte sich die Faust gegen den Schädel. »Der Bolschewik fliegt rauf zu den Sternen und schaut einfach nach. Pure Empiristik! Der ultimatorische Gottesbeweis! Nie mehr Thomas von Aquinius!«
»So kann man das sehen. Und ich wette, wenn in naher Zukunft der erste Kosmonaut vom Himmel zurückkehrt, so wollen Koroljow und Chruschtschow nur eines wissen -« »Hast du da oben Gott gesehen?«, tönte Fritz.
»Hofmann Fritzchen. Du bist kein dummer Kerl. Nur du hörst nicht zu. Du glaubst, du könntest nichts mehr lernen. Nicht in der Kirche und nicht von der Kirche. Irrtum, Jungchen! Großer Irrtum! Wenn du vorlauter Schnösel nachdäch test, dann wüsstest du, wie Koroljows Frage lauten wird. Sie kann nur heißen: Hast du da oben Maria gesehen?«
Ich registrierte ein nervöses Zucken bei Fritz. Er, den nicht einmal der Stock der Barbu aus der Fassung brachte, war verunsichert. Er schwieg und kaute an seinen Fingernägeln. Mir war klar, im Stillen beschloss Fritz, dem Priester die Demütigung heimzuzahlen. Er wusste nur noch nicht, wie.
»Und warum wird Koroljow nicht nach Gott selber fragen ?«, mischte ich mich ein.
Baptiste klopfte mir auf die Schulter. »Junge, versetz dich in seine Lage. Versuch zu denken, wie er denkt! Koroljow ist ein Forscher: messen, wiegen, zählen, prüfen, also ein Materialist. Ein erklärter Atheist, für den nur die wissenschaftliche Hypothese und ihr Beweis gelten. Trotzdem ist er nicht dumm. Ihm ist selbstverständlich bewusst, sollte Gott wider Erwarten existieren, so würden seine Kosmonauten ihn niemals sehen können. Der Allmächtige ist unsichtbar. Das wussten schon die Juden. Er ist unsichtbar, nicht nur für das menschliche Auge, sondern auch für optische Geräte jedweder Art. Ebenso der Heilige Geist. Der Spiritus sanctus flieht schon allein deshalb jede Pupille, weil er ein Geist ist. Mit Jesus Christus ist die Sache
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