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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Deckenlampe. Die Flasche war leer. Er erspähte das volle Weinglas, das Pater Johannes hatte stehen lassen, und lallte mit schwerer Zunge: » Was die geweihte Hand verschmähte, soll dem Zigeuner rechtens sein.« Dann kippte er den Silvaner in seine Kehle und torkelte zur Veranda. Seine Hände suchten Stütze an dem Holzgeländer. Sie grif fen ins Leere. Dimitru glitt aus, rutschte bäuchlings über die glitschigen Treppenstufen und landete kopfüber im Morast. Er stöhnte erbärmlich, fluchte auf den heiligen Joseph, den Schutzpatron der Zimmerleute, und auf die Fatalitäten von Holztreppen bei Regen. Dann befühlte er Schenkel, Knie und Waden, derweil ihm der Matsch aus den Haaren troff.
    »Morphium«, ächzte er, »gebt mir Morphiate.«
    Großvater herrschte ihn an: »Stell dich nicht so an, du Memme.«
    Dimitru kuschte, den Mund aufgerissen und das Gesicht verzerrt zu solch peinvollen Grimassen, dass ich ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken konnte.
    »Pavel! Fritz! Helft Dimitru und bringt ihn nach Hause.« Jammernd rappelte der Zigan sich auf und stützte sich auf meinen Arm. Dann humpelte er los, zeterte und flennte, wobei er wie ein nasser Getreidesack an meiner Schulter hing. Fritz trottete hinter uns her. Die Turmuhr der Wehrkirche schlug halb zehn, als wir die Hütte des Zigeuners am unteren Ende des Dorfes erreichten. Seine Nichte Buba nahm den sturztrunkenen Onkel in Empfang. Dimitru sank auf den Teppich, kauerte sich zusammen wie ein Fetus und schlief sofort ein. Buba zog ihm die Schuhe aus, stopfte ihm ein Kissen unter den Kopf und deckte ihn mit Wolldecken und Schafsfellen zu.
    »Onkel Dimi friert leicht. Er war wohl in einem früheren Leben ein Eisklotz«, sagte sie lächelnd und reichte mir die Hand. Obwohl das Mädchen mit den verwilderten schwarzen Locken gewöhnlich mit rotzigen Frechheiten nicht geizte, dankte es uns für unsere Hilfe und fragte, ob wir nicht noch ein Weilchen bleiben wollten.
    »Ich muss noch etwas erledigen«, lehnte Fritz ab.
    Ich zuckte bedauernd mit den Schultern. »Ein anderes Mal.«
    Buba wollte mir erneut ihre Hand geben, dann lächelte sie und strich mir flüchtig über die Wange. Der Geruch ihrer Haare wehte mich an. Bubas Locken rochen nicht, nein, sie dufteten nach Feuer, nach Rauch und nach feuchter Erde. Mir schoss das Blut in den Kopf. Mir wurde warm.
    Dann keifte ein hohe Stimme: »Bubbah! Bubbah! Ist da jemand?« Das Zigeunermädchen verschwand. »Meine Mutter ruft. Bis bald, in der Schule.«
    Die Schule! Ewige Zeit schien mir seit dem Vormittag verstrichen, an dem mich die Lehrerin Angela Barbulescu beauftrag t hatte, das Bildnis des Partei sekretärs Stephanescu an die Wand zu nageln. Die Aufforderung «Schick diesen Mann zur Hölle! Vernichte ihn!« klang nur noch dünn aus grauer Ferne. Dennoch sah ich die Barbu wieder vor mir. Wie sie in Gummistiefeln vor der Klasse stand, an der Tafel der Satz von Fritz und dem Ofenrohr. Wie sie in den staubigen Tafellappen weinte.
    Wortlos ließen Fritz und ich die Zigeunersiedlung hinter uns. Wo die Dorfstraße leicht bergan steigt, lag rechter Hand Angela Barbulescus Holzkate, aus der ich einst Hals über Kopf geflüchtet war.
    »Wieso brennt bei der Barbu keine Lampe? «, fragte ich. »Weiß ich doch nicht«, maulte Fritz zurück.
    »Das Licht müsste an sein. Die Barbu geht immer spät zu Bett.« Ich trat näher und sah, die Gardinen waren nicht zugezogen. »Sie ist nicht zu Hause«, folgerte ich. »Sie ist sonst immer in ihrem Haus. Sie geht nie weg.«
    »Wahrscheinlich hat sie sich abgefüllt und pennt. Wie dieser Wirrkopf von Zigeuner«, erwiderte Fritz.
    Ich schüttelte den Kopf, ohne etwas zu erwidern. Wir gingen zurück ins Dorf. Als wir die Mauern der Wehrkirche erreichten, wandte ich mich nach links. Ich wollte ins Bett. Dann änderte ich meine Entscheidung, ohne zu wissen, warum.
    »Ich bringe dich noch nach Hause«, sagte ich.
    Fritz blieb stehen. Er glotzte mich an. Feindselig. Dann brach der Damm. Der Groll, der s ich den Abend über in ihm ange staut hatte, toste mit voller Wucht los. »Nach Hause willst du mich bringen? Ich habe in diesem Kaff kein Zuhause. Kapier das endlich! Ich wohne hier nur mit meinen Eltern. Leider! Hier sind alle wahnsinnig. Dieser schmierige Pfarrer. Dieser dämliche Zigeuner. Dein dummer Großvater und du auch. Du gehörst zu ihnen. Zu diesen Idioten. Ihr kapiert nichts! Die Partei, die Barbu mit ihren beschissenen Gedichten, Koroljow! Sputnik! Dieser ganze idiotische

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