Wie die Madonna auf den Mond kam
keinen Moment, sie würde auch nicht mehr kommen. Niemals mehr würde die Barbu in Baia Luna unterrichten.
»Wir haben schulfrei! Die Barbu ist nicht da.« Buba hatte mich entdeckt und lief auf mich zu. »Ich dachte, du wärst krank. Erkältet.«
»Woher weißt du das?« Ich verschwieg, dass meine Mutter mir von ihrem Besuch erzählt hatte.
Buba tippte sich gegen die Stirn. »Das dritte Auge. Du solltest wissen, Onkel Dimi und ich haben das zweite Gesicht. Hoffentlich weißt du zu schätzen, dass ich einem Gadscho wie dir das überhaupt erzähle. Denn bei uns Zigeunern ... «
»Wo ist die Barbu?«
Buba warf ihre Locken nach hinten.
»Ich weiß nicht. Sie ist jedenfalls nicht da.«
»Und was sieht dein drittes Auge? «, fragte ich spöttisch. Buba senkte den Blick und schloss die Augen.
Was soll der Quatsch?, wollte ich sagen, doch mir blieben die Laute in der Kehle stecken. Wie eine Statue stand Buba da. Unbewegt. Dann faltete sie ihre Hände und hob ihren Kopf unendlich langsam zum Himmel. Ich wagte kaum zu atmen. Wunderbar sah sie aus, schmutzig und schön. Ihre zerzausten Haare, das ebenmäßige Gesicht, die samtige Haut und die vollen dunklen Lippen.
Plötzlich schüttelte sich Buba, hielt jählings in ne und stierte aus Augen so groß wie Untertassen. »Ich habe Angst«, hauchte sie .
Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Was siehst du?«
»Ich sehe Blumen, gelbe, leuchtende Sonnenblumen.« »Und?«
»Ihre Haare. Barbus Haare wehen im Wind.«
Buba rannte los. Richtung unteres Dorf. Zu ihren Leuten.
Ich ging hinterher. Ohne Hast. Ich hätte sie niemals eingeholt. Auf dem Weg zu den Zigeunern sah ich, die Gardinen an Barbus Fenstern waren noch immer nicht zugezogen. Vor Dimitrus Hütte klatschte ich in die Hände.
»Man trete ein«, rief eine fremde Stimme, »und lasse allen Ärger draußen.«
Ich streifte die Schuhe ab und trat in Dimitrus Zimmer. Er war nicht da.
»Nicht erschrecken«, sagte ein Zigeuner mit mächtigem Schnauzbart. »Ich bin Salman. Dimitrus Vetter.« Salman hockte auf einem Schemel, dem ein Bein fehlte, auf dem Schoß ein Holzbrett, darauf eine Pfanne mit Zwiebeln und fetttriefendem Hammelfleisch. Er bot mir ein Stück Brot an und reichte die Pfanne herüber. »Eintunken und langsam kauen. Das vertreibt die Geister der Nacht.«
Ich lehnte ab. »Wo ist Dimitru? Wo ist Buba?«
»Dimitru ist in der Bücherei. Dringende Studien. Frag mich bloß nicht, was mit ihm los ist. Sonst muss ich mir noch Sorgen machen. >Wo willst du so früh hin ?<, habe ich ihn heute Morgen gefragt. Und weißt du, was er mir geantwortet hat? Wenn ich die Maria nicht rette, bin ich verloren. Das hat er gesagt. Verstehst du das? Welche Maria meint er? Gestern war er noch guter Dinge. Jetzt hat ihm diese Frau den Kopf verdreht. Irgendetwas ist geschehen. Gestern, auf diesem Geburtstag. Und ich sage dir, was auch immer es war, es ist nichts Gutes.«
»Und wo ist Buba?«
»Wo soll sie schon sein? In der Schule.«
»Heute ist keine Schule. Die Lehrerin ist verschwunden.«
Salm an runzelte die Stirn. »Wohin kann denn in diesem N est eine Lehrerin verschwinden?« Ohne eine Antwort abzuwarten, stellte er die Bratpfanne ab, wischte sich mit dem Hemdsärmel das Fett von Mund und Bart und erhob sich. Der Schemel kippte um. Nach einer Weile kam Salman mit Buba zurück. Er hockte sich wieder auf den wackeligen Sitz und bot uns einen Platz auf Dimitrus Schlafstätte an.
»Buba, ich muss wissen, was du sonst noch bei der Barbu gesehen hast«, flehte ich. »Bitte. Sag es mir.«
»Nur gelbe Sonnenblumen und ihre Haare im Wind.« »Aber die Barbu hat kurze Haare, ich kann mir nicht vorstellen, wie die im Wind wehen sollen.«
»Das weiß ich auch nicht. Aber ich habe sie so gesehen. Mit langen blonden Haaren. Ganz sicher. Und das Haar war mit einem Tuch zusammengebunden, so wie ein Pferdeschwanz.«
»Wie auf meinem Foto«, rutschte es mir raus.
»Was für ein Foto? Hat dir ein Mädchen mit hellen Haaren etwa ein Bild von sich geschenkt?«
Ich registrierte ihr beleidigtes Gesicht, ohne auf die Frage nach einem blonden Mädchen einzugehen. »Wann hast du die Barbu zuletzt geseh en? Sie wohnt doch neben euch.«
»Gestern war ich nicht in der Schule. Also vorgestern«, antwortete Buba knapp. »Danach nicht mehr.«
»Barbu?«, mischte sich Salman ein. »Meint ihr Fräulein Barbulescu? «
»Ja. Woher kennst du sie?«
»Ich kenne sie nicht. Nie gesehen. Aber gestern, da habe ich einen mitgenommen. Ich habe doch
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