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Wie die Madonna auf den Mond kam

Wie die Madonna auf den Mond kam

Titel: Wie die Madonna auf den Mond kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Bauerdick
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Fernsehapparat in die Schankstube. Als die Männer das Gerät bewunderten, war ich losgerannt, um Fritz Hofmann von dem Geschenk an meinen Großvater zu erzählen. Fritz war auf der Stelle mitgekommen. Sofort danach traf Johannes Baptiste in der Schenke ein. Dort blieb er bis zu später Stunde. Die Barbu konnte demnach zu keiner anderen Zeit als am frühen Nachmittag, nach dem Schulunterricht, beim Pfarrer gewesen sein.
    »Schlüssel Bücherei.« Der Pfarrer hatte Barbu den Schlüssel zur Bücherei ausgehändigt. Normalerweise hatte Johannes Baptiste mit der Pfarrbibliothek nichts zu tun. Wer ein Buch ausleihen wollte, wandte sich an Dimitru. Doch der war zu der Uhrzeit nicht in der Bücherei, sondern mit dem Fernseher beschäftigt. Pater Johannes, von dem jeder wusste, dass ihn sein Gedächtnis zusehends im Stich ließ, hatte »A. Barbu« den Schlüssel übergeben und für sich eine Bemerkung notiert. »Retour! 1 !« Der Zettel sollte ihn erinnern, den Schlüssel nicht zu vergessen, sollte die als schlampig verrufene Lehrerin ihn nicht zurückbringen. Hatte die Barbu den Schlüssel zurückgegeben? Die Frage schien mir zweitrangig. Viel wichtiger war:
    Was wollte meine Lehrerin in der Bücherei? Ausgerechnet am Nachmittag des 6. November? Hätte sie nicht warten können bis zum nächsten Tag, wenn Dimitru wieder auf seiner roten Chaiselongue lag und mit seinen Studien die Zeit totschlug? Welches Buch war für die Barbu so bedeutsam, dass sie an diesem Nachmittag eigens den alten Pfarrer mit dem Schlüssel behelligen musste? Und wo war dieses Buch jetzt? Sollte in der Bibliothek ein Buch fehlen, dann konnte das nur einer herausfinden: Dimitru.
    Aber war es richtig, ihn allein aufzusuchen? Ich brauchte einen Verbündeten, einen Freund. Fritz war für mich gestorben. Hermann, der gleichnamige Sohn vom Sachsen Schuster, war ein anständiger Kerl, doch viel zu unbedarft, als dass ich ihm die ganze Geschichte hätte erzählen können, angefangen von Barbus Sonnenblumenkleid bis zu der Sache mit dem Ewigen Licht. Und Petre Petrov? Petre hatte mich in dem Mordzimmer bei der Hand genommen, für einen Augenblick waren wir Ver bündete im Schmerz gewesen. Aber ich kannte den zwei Jahre älteren Petre kaum, der allmählich hineinwuchs in die Welt der Männer und sich mit Jüngeren wie mir gewöhnlich nicht abgab. Ich kannte nur einen Menschen, dem ich alles erzählen mochte: Buba. Nur, ich sah sie nicht vor mir, konnte ihr Bild nicht herbeirufen. Ich wusste um ihre Augen, ihr offenes Lachen, ihre patzigen Bemerkungen, die sanften Hände und den Geruch ihres Haares nach Erde und Rauch. Aber ich sah, ich hörte, ich schmeckte sie nicht. Und ich würde Buba auch nicht riechen und schmecken, solange im Kopf und im Herzen das Bild von dem nackten Pater Johannes, gefesselt auf seinem Stuhl, keinem anderen Bild einen Platz einräumte.
    Etwas Böses war über Baia Luna gekommen. Es hatte dem Dorf Fernanda und den Seelsorger genommen, und es hatte die Furcht mitgebracht. Ein Messer durch die Kehle hatte den Pfarrer nicht nur verstummen lassen, es machte ihn für alle Zeiten auch taub. Pater Johannes konnte nie mehr zuhören. Das war es, woran ich verzweifelte. »Raus aus dem Hause Gottes. Fahr zur Hölle!« Das waren die letzten Worte, die ich aus dem Mund des Priesters gehört hatte. Johannes Baptiste war gestorben, in dem irrigen Glauben, ich, Pavel Botev, hätte das Ewige Licht gelöscht. Und der Priester würde niemals mehr hören: »Nein, nein, nein, Pater Johannes. Es war doch alles ganz anders.« Um nicht zu schreien vor Gram, biss ich des Nachts in mein Kissen.
    Am Sonntagmorgen kehrten Hermann Schuster und Istvan Kallay mit ausgezehrtem Kutschpferd aus Kronauburg zurück. Sie waren die ganze Nacht durchgefahren. »Die Polizei ist unterwegs, um den Mord zu untersuchen«, erklärte Istvan, während Schuster seinen Gaul abspannte.
    Sie kamen um die Mittagszeit. Zwei Jeeps und ein schwarzer Leichenwagen. In dem einen Geländewagen saßen der Plutonier Cartarescu und der dicke Volkspolizist. Im anderen sechs Uniformierte.
    »Schöne Scheiße«, klagte der Dicke mit den Haaren wie ein Vogelnest. Trotz der Kälte tupfte er sich den Schweiß von der Stirn, klemmte seine Schirmmütze unter den Arm und stellte sich erstmals mit Rang und Namen vor: »Bezirkskommissar Capitan Patrascu. Mein Lebtag nicht in Baia Luna gewesen und nun schon wieder hier. Zweimal in zwei Tagen. Bei euch ist vielleicht was los. Erst verschwindet eine Lehrerin und

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