Wie die Madonna auf den Mond kam
Körper wahrscheinlich mit Schüttelattacken und Gedächtnisschwund quittieren würde, nahm Großvater ein Glas Silvaner und trank. »Auf unseren Pater Johannes.«
»Was hat denn dein Pavel? Ist er krank?« Als mich Dimitru unter dem Federkissen auf der Ofenbank entdeckte, schloss ich die Lider und gab ein paar Schnarchlaute von mir. So wurde ich Zeuge eines Gespräches zweier ebenso ernsthafter wie sonderbarer Männer.
Großvater musste die rasche Wirkung des ungewohnten Schoppens als wohltuend empfunden haben. Die Mattigkeit fiel von ihm ab. Seine Zunge löste sich, und er fühlte sich leicht genug, die Schwere seiner Sorgen mit Dimitru zu teilen.
»Dimitru, du weißt, ich war als Kaufmann und Schankwirt immer reell. Gegen jedermann. Aber ich weiß nicht mehr, wem im Dorf ich noch trauen kann und wem nicht.«
Der Zigan schwieg, was ich als Zeichen seiner Bereitschaft deutete, zuhören zu wollen.
»Übles Gerede macht die Runde, Gerüchte, die mich beunruhigen. Ich sehe mich außerstande, noch zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Nach dem Mord an Pater Johannes hat man im Dorf zunächst vermutet, die Kommunisten, möglicherweise sogar die Brancusis, steckten hinter der Bluttat. Sicher, die Brüder sind heißblütige Genossen. Aber ein so grässliches Verbrechen wie an Pater Johannes, nein, so was macht kein Brancusi. Das haben auch die Polizei und Zeugen bestätigt. Die Brüder waren zur Tatnacht gar nicht im Dorf, sondern haben in Apoldasch an einer Kaderschulung teilgenommen. Dann diese merkwürdige Sache mit dem verschwundenen Leichnam. Noch immer hat keiner eine Ahnung, wo unser toter Pfarrer geblieben ist. Die Sachsen raunen, die Sicherheit sei für den Mord verantwortlich. Die Sekurität hätte Baptiste zum Verstummen gebracht, weil er gegen den Kolchos predigen wollte. Neuerdings redet man wieder ganz anders. Es wird gemunkelt, der Tod Baptistes stehe in einem Zusammenhang mit der Lehrerin Barbulescu. Vor ihrem Verschwinden will Kara Konstantin beobachtet haben, dass die Barbulescu wenige Tage vor dem Mord an Pater Johannes in das Pfarrhaus geschlichen sei. Ich weiß nicht, ob man dieser Schwätzerin Kara glauben kann. Aber sie hat geschworen, die Barbulescu habe den Pfarrer aufgesucht, und zwar, um zu beichten. Wegen schwerster Todsünden, die sie in ihrem Lotterleben seit frühester Jugend angehäuft habe. Die Konstantin quatscht herum, die Laster der Barbu seien so ungeheuerlich, dass Johannes Baptiste ihr das Sakrament der Freisprechung nicht habe spenden dürfen, weil ihre Sünden das Maß seiner Vergebungsautorität überschritten hätten.«
Unter meinen Kissen wurde mir heiß. Ich war nur noch Ohr.
Dimitru sagte: »Red weiter.«
»Wenn es stimmt, was Kara überall verbreitet, dann hat sich die Sache so zugetragen: Pater Johannes hat dem Schuldbekenntnis der Barbulescu wohl zugehört, ihr dann aber die Absolution verweigert. Und nun behauptet Kara, ohne Lossprechung sei eine Beichte ungültig und Baptiste sei nicht mehr an das Beichtgeheimnis gebunden. Dimitru, du weißt wie ich, Pater Johannes hat ein vertrauliches Wort immer für sich bewahrt. Niemand musste fürchten, dass er auch nur eine Silbe über irgendjemanden ausplaudert.«
»Eher hätte er sich die Zunge abgeschnitten!«
»Aber wusste das auch die Barbulescu? Kara jedenfalls meint zu wissen, Johannes habe die Barbu aufgefordert, Baia Luna zu verlassen. Ein solch verludertes Subjekt sei zum Unterrichten von Kindern ungeeignet. Und nun wird nicht nur von der Konstantin, sondern auch von dem Küster Knaup behauptet, die Barbulescu habe etwas mit der Bluttat an Johannes Baptiste zu tun. Was genau, darüber schweigen sie sich aus. Aber nicht mehr lange, wie Kara ausposaunt.«
Weil Dimitru schwieg, blinzelte ich ein wenig und sah, wie er sich durch sein verstrubbeltes Haar strich. Er nahm einen Schluck Zuika, schüttelte sich, spuckte und schob das Glas von sich. »Wenn mir nicht einmal dein Schnaps schmeckt, Ilja, glaub mir, dann ist die Lage ernst. Vor allem, wenn die Leute anfangen, auf Verrückte zu hören.«
Großvater nickte bestätigend. »Du glaubst also auch nicht, was Kara Konstantin erzählt?«
»Mein Freund Ilja, ich konsterniere. Erstens: Nie hätte Papa Baptiste eine reuige Seele ungetröstet fortgeschickt. Niemals. Zweitens: Die Frau an sich handelt in principio immer rein affektatorisch. Sie kann hassen, oh ja, das kann sie gut. Ebenso wie sie lieben kann. Ich sag dir, ich weiß, wovon ich rede. Aber ein
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