Wie die Menschheit zur Sprache fand
so hatte sie doch auch ihren Preis. Eine verzögerte neurologische Entwicklung bei Homo-erectus -Babys wird sich in einer langsameren motorischen Entwicklung niedergeschlagen haben, und das selbständige Festhalten an der Mutter wird zunehmend schwieriger geworden sein.
Eine Homo-erectus -Mutter hat ihr Kind bei der Nahrungs-und Wassersuche vermutlich in einer Tragevorrichtung bei sich gehabt. Leider wissen wir nicht genau, wann solche Hilfen erstmals verwendet wurden, sie werden aber, so Adrienne Zihlman von der University of California in Santa Cruz, zu den frühesten Werkzeugen gehört haben. 19 Da man Textilien in archäologischen Funden erst in vergleichsweise neuer Zeit gefunden hat, 20 ist anzunehmen, dass die Traghilfen des Homo erectus nicht, wie von manchen Anthropologen gemutmaÃt, aus verwobenem Pflanzenmaterial bestanden haben, sondern wohl eher aus den Häuten erlegter oder tot aufgefundener Tiere.
Wie sah es vor der Erfindung von Traghilfen aus? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns den Vorfahren von Homo erectus zuwenden, die sich zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor etwa zwei Millionen Jahren von der Linie der Australopithecinen abgespalten haben. Zu jener Zeit begann der aufrechte
Abbildung 3.3 Eine äthiopische Frau trägt ihr Baby in einem Tragtuch. Foto: Dean Falk
Gang mit der zunehmenden GehirngröÃe zu kollidieren. Als die Evolution anfing, kleine Zweibeiner von affenähnlichen Körperproportionen zu hochgewachsenen, anmutig einherschreitenden Menschen wie dem jungen Homo erectus vom Turkana-See zu machen, werden unsere Vorfahren zunehmend Probleme gehabt haben, sich am Körper ihrer Mutter festzuhalten. Das Experiment der Natur, das sich in 15Ks Beckenstruktur und KopfgröÃe spiegelt, hat demnach vermutlich sehr viel früher als vor 1,6 Millionen Jahren begonnen. 21
Vor der Erfindung von Babytragen
Vergegenwärtigen Sie sich einmal den ungeheuren Evolutionsdruck, dem die Vorfahren von Homo erectus ausgesetzt gewesen sein müssen. Da der gut belegte Trend in Richtung gröÃere Gehirne anhielt, muss die Sterblichkeit bei ausgetragenen Babys zugenommen haben, weil deren Köpfe zu groà waren, um den zunehmend enger werdenden Geburtskanal ungehindert passieren zu können. Ihre Gene verschwanden aus dem Genpool - nicht nur dadurch, dass die Kinder nicht überlebten, sondern auch, weil die Mütter oftmals bei der Geburt starben. Viele Babys und zahllose gebärende Mütter werden bei dem langen und schweren Weg zum aufrechten Gang buchstäblich auf der Strecke geblieben sein. Die natürliche Selektion war vermutlich so gnadenlos, dass sich der zunehmend enger werdende Geburtskanal als eine Art evolutionärer Flaschenhals betrachten lässt, der unsere Art dramatisch verändert hat. Auch die Schwangerschaftsdauer wird sich verändert haben. Babys, deren Kopf zum Zeitpunkt der Geburt nicht allzu groà war, konnten einen beschwerlichen Geburtskanal eher passieren und überlebten daher. Der Wechsel zur Geburt hilfloser und unfertiger Babys begann in dem Augenblick, als die natürliche Selektion anfing, sich langsam entwickelnde Neugeborene - Spätzünder sozusagen - zu begünstigen.
Dieser Prozess ist sicher langsam und schrittweise verlaufen. Am Anfang standen zunehmend längere und schmerzhaftere Geburten bei den Vorfahren des Homo erectus . Als die natürliche Selektion die Gehirne immer gröÃer werden lieÃ, muss die Säuglings- und Müttersterblichkeit auf ein nie dagewesenes Niveau angestiegen sein, und mit der Zeit wurden Neugeborene begünstigt, die einen Teil ihrer Gehirnentwicklung auf die Zeit nach der Geburt verlagert hatten. Im Vergleich zu ihren Schimpansenverwandten wurden diese in ihrer Entwicklung noch unfertigen Babys physisch mehr und mehr von ihren Müttern abhängig.
Schimpansenmütter stützen ihre Kinder anfänglich mit einem Arm, hören damit aber rasch auf, weil die Säuglinge schon bald kräftig genug sind, sich allein mit Händen und FüÃen festzukrallen. Frühe Homininenmütter haben diese Schimpansenpraxis zweifellos beibehalten und ihre Kinder mit einem Arm gehalten. Als die GehirngröÃe jedoch immer mehr zunahm, und die Hirnentwicklung weiter in die Zeit nach der Geburt verschoben wurde, verzögerte sich auch die Entwicklung der Fähigkeit, sich ohne Hilfe an der Mutter festzuhalten, bis sie schlieÃlich
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