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Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Zeitgefühl.
    Unglaublich, draußen war es so heiß, dass die Eltern für die vorverlegte Kinderschwimmbaderöffnung auf die Barrikaden gestiegen sind, und ihm war keine fünfzig Meter entfernt so kalt, dass ihm fast der Verstand ausgesetzt hat. Und die Kälte war noch das kleinste Problem. Du musst wissen, wie die Treuhund damals mit den allerersten Umbauplänen dahergekommen ist, hat die Gemeinde Wien einmal ein paar Feuerwehrleute in den Flakturm hineingeschickt. Weil da ist seit Jahrzehnten kein Mensch drinnen gewesen, und jetzt einmal Lokalaugenschein. Dann sind die Feuerwehrmänner vorsichtshalber gleich einmal mit schwerem Atemschutz eingestiegen.
    Der Gestank hat übrigens dieselbe Ursache gehabt wie das mit dem Boden, wo er sich in der Finsternis so gewundert hat, warum ist der Boden an manchen Stellen so weich. Ist natürlich ganz klar, weil Ratten, Tauben, Krähen leben nicht ewig, und wenn sich da zu viele Generationen im Lauf der Jahrzehnte zur Ruhe legen, entsteht auf dem Betonboden eine weiche Schicht, das ist ganz normal
    Begriffen hat er es dann schon, aber es war doch ein Glück, dass ihm das Schädelweh immer noch den Verstand vernebelt hat. Lieber an etwas anderes denken, an etwas Angenehmes, wie man Weihnachten '54 eine lange Unterhose vom Christkind bekommen hat. Und so weiter, der Brenner hat sich jetzt angestrengt an die schönsten Höhepunkte in seinem Leben erinnert, damit er sich ein bisschen ablenkt.
    Wenn du dir natürlich in der Kälte zu lange schöne Dinge vorstellst, kann es passieren, dass du stirbst. Jetzt hat der Brenner Glück gehabt, dass ihm irgendein Vogel ins Gesicht gestiegen ist und ihn wieder aufgeweckt hat. Mein lieber Schwan, ihm war so kalt, dass er es nicht einmal richtig gespürt hat, wie er sich an einem Eisenträger das Knie aufgeschlagen hat. Aber er hat sich zusammengerissen und ist wieder aufgestanden und ein bisschen herumgegangen.
    Es hat ihm nicht gepasst, dass er da herinnen sein Leben beenden soll. Er war sicher kein Mensch, der sich ein Staatsbegräbnis wünscht, oder dass da der Polizeipräsident persönlich zu seinem Sarg kommen müsste. Aber da herinnen im Flakturm ist es ihm doch ein bisschen zu sang- und klanglos gewesen.
    Und der Mensch hofft ja bis zum letzten Moment, jetzt hat der Brenner sich eingeredet, es ist vielleicht ein gutes Zeichen, dass die Wunde auf seinem Hinterkopf, wo ihm der Sohn der Amtsärztin hinterrücks die Schaufel drüber gezogen hat, nicht mehr blutet. In Wirklichkeit war es natürlich nur ein Zeichen, dass er schon zwei Tage länger da war, als er geglaubt hat, aber der Gedanke ist ihm Gott sei Dank in dem Moment nicht gekommen.
    Aber interessant. Gedächtnisverlust hat er keinen gehabt. Er hat sich noch genau erinnert, wie er vom Hojac zur Amtsärztin gefahren ist, und die hat ihm gesagt, ihr Sohn ist auf der Baustelle. Wie er dann einem Taxifahrer gesagt hat, er soll ihn ganz zum Flakturm hineinfahren. Der hat natürlich ein Geschrei gemacht, frage nicht, und in einen Park hineinfahren gegen das Gesetz. Da hat er nicht einmal Unrecht gehabt, aber der Brenner hat ihm einen Fünfhunderter hingehalten, und ich sage immer, fünfhundert Schilling sind meistens so ungefähr die Grenze für das Gesetz.
    Sogar an die letzten Sekunden vor der Bewusstlosigkeit hat der Brenner sich noch erinnert. Wie er durch die schmale Luke geklettert ist, die sonst immer mit diesem eisernen Baustellenladen verrammelt war. Er hat ja überhaupt nur die Gelegenheit gehabt, hineinzuklettern, weil der Architekt auch gerade drinnen war. Der hat die Hartwig nach einer Baustellenbesichtigung nicht mehr herausgelassen, und nach einer guten Woche wollte er sie jetzt sauber einbetonieren. Weil ich glaube, mit eigener Hand ist es dem nicht so leicht gefallen, und als Architekt ist es vielleicht ein schöner Gedanke, wenn ein Gebäude das für dich erledigt. Und wenn der Flakturm ihm bei der Hartwig die Arbeit abgenommen hat, warum soll er es nicht beim Brenner noch einmal für ihn erledigen.
    Der Brenner hat sich jetzt sogar an seinen letzten Gedanken vor der Bewusstlosigkeit erinnert, wie der Architekt schon zum zweiten Mal mit der Schaufel ausgeholt hat. Oder eigentlich nicht Gedanke, eigentlich einfach Wutanfall. Weil in der Polizeischule haben sie ihnen eingeschärft, dass man den Täter in praktisch allen Fällen schon am Anfang der Ermittlungen kennen lernt. Aber ihm muss es natürlich passieren, dass seine Amtsärztin die Mama vom Flakturm-Architekten

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