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Wie die Tiere

Wie die Tiere

Titel: Wie die Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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kommt, dass du ja auch so wie die Hartwig versuchen könntest, um Hufe zu schreien, musst du in deiner ganzen Sauerstoffschuld zuerst einmal zehn Minuten lang schnaufen wie ein verendender Autobus, bevor du an einen Hilfeschrei überhaupt denken kannst. Und der Brenner hat jetzt in der fürchterlichen Flakturmluft so lange japsen und keuchen und seine Sauerstoffschuld gutmachen müssen, dass er, bevor er endlich zum Schreien fähig war, in seiner Verzweiflung etwas noch Hoffnungsloseres ausprobiert hat.
    Weil er hat jetzt doch noch einmal versucht, ob er nicht mit dem Handy eine Verbindung zur Magdalena kriegt. Aber natürlich aussichtslos, da probierst du in der Not sinnlose Sachen.
    Aber interessant. Da wären wir wieder beim Gleichzeitigen. Die Magdalena hat nämlich auch schon die ganze Zeit versucht, mit dem Brenner eine Verbindung zu kriegen, weil er schon zwei Nächte nicht heimgekommen ist. Auch aussichtslos natürlich. In die eine Richtung aussichtslos, in die andere Richtung aussichtslos. Das war aber schon das Einzige, was sie jetzt noch gemeinsam gehabt haben.
    Die Magdalena hat den herrlichen Sonnentag genossen, quasi Kontrastprogramm. Weil so große Sorgen hat sie sich auch wieder nicht gemacht um den Brenner, dass sie die Sonne nicht genießt. Sie hat sich bei einem Blumenstand einen schönen Strauß Muttertagsblumen gekauft. Wenn du am zweiten Sonntag im Mai Blumen kaufst, dann sind das einfach Muttertagsblumen, auch wenn du sie nicht für eine Mutter kaufst, da gibst du das Kartonherz einfach weg, und schon sind es normale Blumen, die du auch einem Mann schenken kannst.
    Da ist das Leben oft ein bisschen ungerecht, der eine sitzt im Flakturm, und bei den anderen geht gleichzeitig das muntere Vergnügen weiter. Beim Brenner war es jetzt sogar so, dass er sich eingebildet hat, er hört manchmal ganz leise Fetzen von spitzen Kinderschreien aus dem Augarten herein, wenn vielleicht ein Kind beim Spielen gerade besonders vergnügt war.
    Jetzt hat er sich endlich zum Schreien aufgerafft. Ein Erwachsener kann natürlich nicht so durchdringend schreien wie ein Kind, da hat er nicht viel Hoffnung gehabt, dass ihn wer hört. Dafür hat es herinnen so fürchterlich gehallt, dass er Angst vor seiner eigenen Stimme gekriegt hat. Und ihm ist zu seiner Stimme wieder die Krähe eingefallen, die mit menschlicher Stimme um Hilfe geschrien hat.
    In so einer Situation kommen dir leicht einmal Erinnerungen an die Kinderzeit. Und eines hat ihm schon als Schulkind immer zu denken gegeben. Wenn du am Abend auf der Straße gehst und du siehst zufällig einen Zug vorbeifahren, dann kommen dir die Reisenden im beleuchteten Zugfenster ganz fremd vor. Umgekehrt, wenn du lange in einem Zug fährst, kommen dir die Leute auf der Straße fremd vor. Genauso bist du manchmal der Spaziergänger im Augarten, der sich über den Schreihals im Flakturm denkt, laute Krähe. Dann bist wieder du der Schreihals im Flakturm, und der Spaziergänger draußen denkt sich jetzt über dich, laute Krähe. Und im Grunde nur ein bisschen Beton dazwischen, quasi Zufall
    Und noch etwas ist dem Brenner jetzt aufgefallen. Von außen ist so ein störendes Gebäude in deinem Park weniger schlimm, als wenn du drinnen sitzt und nicht mehr herauskommst. Weil du kannst im Leben in eine Situation geraten, wo dir das «Sie sind hier» regelrecht über den Kopf wächst.
    Mit dem Schreien hat er dann wieder aufgehört, wie er gemerkt hat, so Stimmbänder sind dünn und halten auch nicht ewig. Aber interessant. Noch dünner als ein Stimmband ist eine Spinnwebe. Und der Brenner hat sich jetzt gewundert, dass er auf einmal eine Spinnwebe sieht. Sicher, wenn du viel um dein Leben schreist oder viel die Luft anhältst, kannst du Risse in der Netzhaut kriegen, dann siehst du Spinnweben. Aber das war es nicht. Wenn er die Augen zugemacht hat, war die Spinnwebe weg, und wenn er sie aufgemacht hat, Spinnwebe wieder da. Ein hauchdünner, weißer Faden ist da ungefähr zehn Meter über ihm gehängt. Da muss ihm das desolate Lifthaus so einen Blick ermöglicht haben, ein bisschen hat er sich das von den Plänen, die ihm der Hojac gezeigt hat, zusammenreimen können.
    Und weil man in der Dunkelheit keine Spinnwebe zehn Meter über sich sehen kann, ist das ein hauchdünner Sprengriss gewesen. Und weil der Mensch so veranlagt ist, dass er sich in der Not an Spinnweben klammert, der Brenner jetzt: Vielleicht habe ich da oben einen Empfang.
    Er hat es sogar probiert, ob er herunten

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