Wie ein boser Traum
kurz vor dem Zusammenbruch, Ray, wirklich kurz davor. Ich fürchte, sie hat vor, die ganzen lausigen Ermittlungen, die deine Abteilung durchgeführt hat, in der Luft zu zerreißen.«
Er hatte keine Lust, sich diesen Mist anzuhören. »Halten Sie sich fern von Emily Wallace, und rufen Sie mich nie wieder an.« Und damit knallte er den Hörer auf.
»Chief?«
Er blickte wütend durchs Zimmer.
Seine Sekretärin stand an der Tür und sah aus, als wollte sie gleich in Deckung gehen.
Er bemühte sich um Fassung. »Ja, Mary Alice.« Ach, verdammt noch mal, er durfte nicht zulassen, dass dieses Weib ihm derart zusetzte. »Ich mache jetzt Mittagspause. Soll ich Ihre Gespräche auf die Zentrale umstellen?«
Er nickte. »Natürlich. Ich wollte selbst gerade gehen.«
Mary Alice lächelte ihn kurz an und ging dann eilig los.
Er kam sich vor wie ein Vollidiot, weil er zugelassen hatte, dass seine Sekretärin sah, wie sehr der Anruf ihn erregt hatte. Das Allerletzte, was die Leute in dieser Stadt brauchten, war noch etwas, worüber sie sich die Mäuler zerreißen konnten.
10
03.00 Uhr
Clint machte etwas früher Feierabend. Cook hatte nichts dagegen gehabt. Vielleicht war er beeindruckt von der Putzaktion, die Clint am Vorabend durchgeführt hatte, vielleicht wollte er ihm auch nur nicht in die Quere kommen. Clint hätte sein letztes Hemd darauf verwettet, dass der Kerl für die Nacht, als Heather Baker ermordet wurde, kein Alibi besaß. Nur eines von den vielen Dingen, die Clint über die braven Bürger von Pine Bluff herauszufinden gedachte.
Dass Emily Wallace nicht draußen wartete, um ihn bis nach Hause zu verfolgen, wunderte ihn. Weil er eine Verabredung hatte, von der nur er wusste, war er froh darüber.
Wenn sie ihm gefolgt wäre, dann hätte er sie abhängen müssen.
Er überprüfte kurz den Wagen, die Kühlerhaube, den Kofferraum und dann den Asphalt darunter. Alles in Ordnung. Dann setzte er sich hinters Lenkrad und betätigte den Anlasser. Angesichts dessen, was die Leute hier von ihm hielten, hatte er bestimmte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Zum Beispiel zwei Streifen transparentes Klebeband über den Spalt zwischen Kühlerhaube und Stoßstange geklebt. Dasselbe hatte er am Kofferraum gemacht. Wenn sich einer daran zu schaffen machte, dann riss das Siegel. War der Asphalt unter dem Wagen nicht trocken, wusste er, dass eine Bremsleitung beschädigt und Bremsflüssigkeit ausgelaufen war.
Er fuhr, genoss dabei die Empfindung des starken Motors und den Wind, der durch die offenen Fenster wehte. Ein Stadtviertel ging ins nächste über, bis er langsamer fuhr und nach rechts abbog, von hier würde er in die Sackgasse Red Bird Lane kommen. Die reichlich drei Morgen hügeliges Grünland mit dem festungsähnlichen Wohnhaus erstreckten sich bis zum waldigen Naturschutzgebiet, das den See umgab. Eine Top-Immobilie, die der größten Schlange im Gras des ganzen Countys, wenn nicht des ganzen Südostens gehörte.
612 Red Bird Lane, die Adresse von Sylvester Fairgate.
Der alte Fairgate war inzwischen tot. Er war vor zwei Jahren gestorben. Welche Krankheit ihn auch immer zur Hölle geschickt hatte – es lag mit ziemlicher Sicherheit an den bösen Taten des bösartigen Mistkerls. Trotz seines Namens war die Art und Weise, wie er Geschäfte gemacht hatte, nie »fair« gewesen.
Sly war Banker gewesen. Kein normaler Bankier bei einer Volksbank oder Sparkasse. Sly Fairgate hatte jenen, die so verzweifelt waren, zweihundert Prozent Zinsen zu zahlen, Geld geliehen, wöchentliche Fälligkeit. Nach spätestens einem Monat musste die Schuld beglichen sein. Wer in der Zeit nicht bar zahlen konnte, bezahlte auf andere Weise.
Ein knapp drei Meter hoher Eisenzaun umgab das Anwesen. Zwei Dobermänner liefen am Tor auf und ab und bellten Clints Firebird an. Sylvesters einziger Sohn, Sidney, Psycho-Sid für die, die ihn kannten, konnte auf einen Blick erkennen, wer am Tor war. Der rote Firebird war Clints Eintrittskarte.
Sid war ein anderer Vogel, nicht aus demselben Holz geschnitzt wie sein Vater. Sly war ein knallharter Geschäftsmann gewesen, Sid dagegen zog Glücksspiele vor. Dem sadistischen kleinen Arsch gefiel nichts besser, als mit anzusehen, wie die Leute sich krümmten. Na, es wurde Zeit, dass auch Sid sich mal vor Schmerzen wand.
Langsam fuhr Clint bis zu dem verzierten Laternenpfahl, an dem die Tastatur mit der Sprechanlage in Griffweite angebracht war. Hätte er die richtige Ziffernfolge gekannt, so wie früher,
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