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Wie ein einziger Tag

Wie ein einziger Tag

Titel: Wie ein einziger Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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heftiger wurde, dann wieder etwas nachließ. Dann öffnete ich wieder die Augen und beobachtete meinen alten Freund, den Brices Creek. Anders als Allie hatte ich ein Zimmer mit Blick auf den Fluß, und der hat mich schon immer inspiriert. Er ist ein Widerspruch in sich, dieser Fluß - Hunderttausende von Jahren alt, aber mit jedem Regenguß wieder neu. Ich redete an diesem Morgen mit ihm, flüsterte ihm zu: »Du bist gesegnet, mein Freund, und ich bin gesegnet, und wir werden in den kommenden Tagen zusammenfinden.« Die Wasser wogten und kräuselten sich, gleichsam zustimmend, und im blassen Schimmer des Morgenlichts spiegelte sich unsere gemeinsame Welt. Der Fluß und ich. Fließend, verebbend, zurückweichend. Der Mensch, so denke ich, kann so vieles lernen, wenn er das Wasser betrachtet.
    Es geschah, während ich am Fenster saß und der erste Sonnenstrahl auf den Fluß traf. Ich bemerkte, daß meine Hand zu kribbeln anfing, was noch nie geschehen war. Ich wollte aufstehen, vermochte es aber nicht, weil mein Kopf wieder unerträglich zu hämmern begann, diesmal so, als schlüge man mir mit einem Hammer auf den Schädel. Ich schloß die Augen, preßte die Lider fest zusammen. Meine Hand hörte auf zu kribbeln, wurde gefühllos, so schnell, als würden irgendwo in meinem Unterarm plötzlich die Nerven durchtrennt. Ich konnte mein Handgelenk nicht mehr bewegen, und, einer Flutwelle gleich, die alles auf ihrem Weg mit sich fortreißt, jagte ein stechender Schmerz durch meinen Kopf, den Nacken hinunter in jede Zelle meines Körpers.
    Ich konnte nicht mehr sehen und vernahm ein Geräusch wie das eines Zuges, der dicht an meinem Kopf vorbeidonnerte. Da wußte ich, daß es ein Schlaganfall war. Wie ein Blitz durchzuckte der Schmerz meinen Körper, und in meinen letzten bewußten Augenblicken sah ich Allie vor mir, in ihrem Bett auf die Geschichte wartend, die ich ihr nie wieder vorlesen würde, verloren und verwirrt und völlig unfähig, sich selbst zu helfen. Genauso wie ich.
    Und als sich meine Augen endgültig schlössen, dachte ich bei mir: O Gott, was habe ich getan?
    Ich war tagelang immer wieder bewußtlos, und in meinen lichten Augenblicken fand ich mich an alle möglichen Apparate angeschlossen, mit Schläuchen in der Nase und Kanülen in den Armen und zwei Beuteln mit Flüssigkeit über meinem Bett. Ich konnte das Summen von Maschinen an und abschwellen hören, Maschinen, die manchmal Geräusche machten, die ich nicht einordnen konnte. Eine, die im Rhythmus meines Herzschlags piepste, wirkte seltsam beruhigend auf mich, und ich fühlte mich zwischen Niemandsland und Wirklichkeit hin und her gewiegt.
    Die Ärzte waren beunruhigt. Ich sah ihre sorgenvollen Gesichter mit halbgeöffneten Augen, wenn sie die Krankenblätter studierten und die Apparate neu einstellten. Sie glaubten, ich könnte sie nicht verstehen, wenn sie ihre Kommentare flüsterten: »Das sieht aber gar nicht gut aus«, sagten sie. »Das kann verheerende Folgen haben.« Mit todernsten Mienen sprachen sie ihre Befürchtungen aus: »Sprachverlust, Bewegungsverlust, Lähmung.« Ein weiterer Eintrag ins Krankenblatt, ein weiteres Summen einer sonderbaren Maschine, dann verließen sie mein Zimmer und wußten nicht, daß ich jedes Wort gehört hatte.
    Ich versuchte, nicht über diese Dinge nachzudenken, sondern mich auf Allie zu konzentrieren und ihr Bild vor meinem geistigen Auge erscheinen zu lassen. Ich versuchte, ihre Berührung zu spüren, ihre Stimme zu hören, ihr Gesicht zu sehen, und jedesmal füllten sich meine Augen mit Tränen, weil ich nicht wußte, ob ich sie jemals wieder in den Armen halten, den Tag mit ihr verbringen, ihr vorlesen oder mit ihr zum Fluß spazieren könnte. So hatte ich mir das Ende nicht vorgestellt, so war es nicht vorgesehen.
    Ich hatte immer geglaubt, daß ich als letzter gehen würde.
    So trieb ich tagelang dahin zwischen Bewußtlosigkeit und Wachzustand, bis das Versprechen an Allie meinem Körper plötzlich neuen Antrieb gab. Es war an einem nebligen Morgen, und als ich die Augen öffnete, erblickte ich ein Zimmer voll mit Blumen, deren Duft mich noch mehr belebte. Ich tastete nach der Klingel und drückte mit größter Mühe darauf. Keine dreißig Sekunden später erschien eine Krankenschwester, gefolgt von Dr. Barnwell, der mich erwartungsvoll anschaute.
    »Ich habe Durst«, sagte ich mit krächzender Stimme.
    »Willkommen, Noah«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Ich wußte, daß Sie's schaffen

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